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Miguel Herz-Kestranek im Jänner bei der Programmvorschau der Festspiele Reichenau

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Ein außergewöhnliches, ein außergewöhnlich heiteres und heikles Buch. Witze müssen ja immer damit rechnen, nicht eben zu den prominenten epischen Kleinformen gezählt zu werden. Jüdische Witze aber bringen darüber hinaus den, der sie erzählt, fast zwangsläufig gleich in die Bredouille; und das nicht nur, weil die vielfach komplexen Codes, die sie aufnehmen oder mittragen, längst außer Kraft gesetzt (worden) sind.

Wenn Miguel Herz-Kestranek jüdische Witze und Anekdoten präsentiert, ist allerdings von einer Bredouille weit und breit nichts mehr zu sehen. Auch in seinem neuen Buch folgt er nämlich den Spuren Friedrich Torbergs, verfolgt er den "Untergang des Abendlandes in Anekdoten", ohne darauf zu verzichten, Tacheles zu reden, wo immer er auf antisemitische Narrative stößt.

Die Witze und Anekdoten, die er hier versammelt, Schadchen-Witze, Rothschild-Witze, Moritzl-Witze, viele andere mehr, hat schon sein Vater erzählt: für den Sohn Anlass genug, auch den Ton, vor allem auch den Ton wieder zu erinnern, in dem die Geschichten (seinerzeit, möchte man hinzufügen) übermittelt worden sind; einen Ton, in dem die Landschaften sichtbar werden und die Menschen, die in diesen Geschichten zentrale Rollen spielen. Humor, Klugheit, Weisheit, sogar Überlebensstrategien äußern sich im Witz, gar nicht selten auch selbstkritische, im ersten Moment möchte man sagen: judenfeindliche Tendenzen.

Miguel Herz-Kestranek bindet die alten Witze indessen ein in neue Geschichten und Kommentare, indem er seine persönlichen Beziehungen zum Judentum (wie auch zum Christentum und zum Buddhismus) aufdeckt und die Geschichte seiner Vorfahren ins Bild setzt, namentlich die Geschichte seines Vaters, der vor den Nationalsozialisten aus Wien über Zürich und Paris, Spanien und Portugal schließlich nach Uruguay flüchten musste, ehe er (nach 1945) - gebrochen - in seine Heimat zurückkehren konnte und am Ende miterlebte, was man, etwa in St. Gilgen, unter dem Begriff " Wiedergutmachung" allgemein verstand.

Begriffe, auch und vor allem jiddische Wörter und Wendungen werden in diesen Geschichten und mehr noch in den Kommentaren des Erzählers von verschiedensten Seiten scharf beleuchtet: ist doch ein guter jüdischer Witz, wenn nur die Wörter entsprechend oszillieren, bekanntlich "ein Entwicklungsroman in wenigen Zeilen", wenn nicht eine philosophische Abhandlung in einem einzigen Satz, mithin ein kulturelles (und soziales) Phänomen ersten Ranges. Dass sich in diesem Buch gelegentlich Wehmut breitmacht, angesichts der erzählten, inzwischen verschütteten Welt der Wunderrabbis, der Schnorrer, der Millionäre, kann nicht verwundern.

Die Wehmut aber wird permanent verscheucht: durch eine Erinnerungsarbeit, die nicht nur nahezu pausenlos eine Pointe an die andere reiht, sondern unablässig auch im dominanten kollektiven Gedächtnis stochert. Keine Figur ist vor dieser Arbeit sicher, nicht die Frau von Pollak, die neureiche, herzensgute, aber selten gut informierte Verwandte der Tante Jolesch, auch nicht die Leser (die womöglich tatsächlich sich von Herz-Kestranek dazu verleiten lassen, in einer Goldschnitt-Ausgabe der Werke Schillers das Götz-Zitat zu suchen).

Die Protagonistin dieses Buches, laut Herz-Kestranek eine "nicht allzu große, resolute Person, deren Korpulenz von einem überdimensionalen und immer perlenbehangenen Dekolleté übertroffen wurde, das nahezu halslos über ein paar Doppelkinne in ein dick gepudertes Gesicht mit kirschrot geschminkten Lippen mündete", Frau Pollak also hat, versteht sich, auch Goethe noch hoch geschätzt.

"Ich mag's absolut nicht", eröffnete sie einmal ihren Freundinnen beim Tee, "wenn mein Großer nur Bücheln liest mit Tschinbumm und so andere miese Sachen. Ich sag ihm immer: Heutzutag is Bildung gefragt - lies was Geistreiches! So über Leut, von wo du was lernen kannst fürs Leben - wie zum Beispiel die Geschichte von unserem Goethe: Die Leiden des jungen Wertheimer."  (Johann Holzner, Album, DER STANDARD, 31.3./1.4.2012)