Die Menschenrechte in Europa und darüber hinaus bedürfen eines angemessenen Schutzes. Die 47 Mitglieder des Europarats, der über die Einhaltung der Grundfreiheiten wacht, werden im April über wichtige Reformen zu entscheiden haben, mit denen altbekannte Schwächen in der Art und Weise, wie er diese Schutzfunktion für 800 Millionen Menschen wahrnimmt, beseitigt werden sollen.

Als einer der Architekten der Europäischen Menschenrechtskonvention und derzeitiger Vorsitzender des Ministerkomitees des Europarats bekennt sich das Vereinigte Königreich voll und ganz zu den Werten der Konvention. Wir haben aus erster Hand miterlebt, wie sie über den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte die Rechtsstaatlichkeit in Europa gefördert haben. Die Ereignisse unlängst in Libyen und jetzt in Syrien zeigen die anhaltende Bedeutung der Konvention.

Der Schutz der Menschenrechte leidet jedoch unter Unzulänglichkeiten bei der Umsetzung dieser Rechte. Wir möchten deshalb einen neuen Vorstoß unternehmen, um ein zentrales Problem in den Griff zu bekommen - den gewaltigen Rückstau von Fällen vor dem Straßburger Gerichtshof. Hier haben sich inzwischen über 150.000 Klagen angesammelt, die Wartezeit beträgt im Schnitt fünf Jahre. Die Verteilung der Verantwortung innerhalb des Systems ist aus dem Lot geraten. Dem Gerichtshof wird zu viel aufgebürdet, während die Mitgliedsstaaten selber nicht genug tun. Der Gerichtshof hat das Problem des Rückstaus erkannt und ist dabei, es teilweise zu lösen. Doch selbst bei Umsetzung der bisher beschlossenen Reformen würden pro Jahr immer noch ca. 1000 Fälle übrig bleiben, die er nicht bewältigen kann.

Das ist äußerst problematisch. Auch weiterhin würden dringende Fälle aufgeschoben - Fälle von Personen, die einem unfairen Gerichtsverfahren unterworfen waren oder denen das Recht auf freie Meinungsäußerung vorenthalten wurde. Das System der Menschenrechtskonvention, das für über 800 Millionen Menschen Recht spricht, ist damit existenziell gefährdet.

Das Problem lässt sich am ehesten dadurch beheben, dass jeder, der am System beteiligt ist, seinen Auftrag erfüllt. Würden die Mitgliedstaaten der Menschenrechtskonvention wirklich Geltung verschaffen, würde der Gerichtshof allmählich entlastet.

Wir schlagen daher vor, dass die Regierungen stärkere Anstrengungen zur Umsetzung der Konvention unternehmen - durch Schaffung nationaler Menschenrechtsinstitutionen, durch nationale Gesetze zur Verankerung der Konvention und durch eine bessere Ausbildung der Beamten und Richter in Menschenrechtsfragen.

Der Gerichtshof seinerseits muss Fälle ablehnen können, wenn aus seiner Sicht eine Überprüfung durch ein internationales Gericht nicht erforderlich ist. Wir schlagen vor, in der Konvention selbst eine Möglichkeit für den Gerichtshof vorzusehen, eine Klage abzuweisen, wenn sie schon in staatlichen Gerichten verhandelt wurde und dies im Einklang mit der Konvention geschehen ist.

Rechte besser durchsetzen

Das Recht von Privatpersonen, eine Klage in Straßburg einzureichen, würde dadurch nicht beeinträchtigt. Der Gerichtshof würde weiterhin entscheiden, welche Klagen zulässig sind, und nach wie vor könnten alle Mitgliedsstaaten zur Rechenschaft gezogen werden. Aber der Gerichtshof hätte eine wichtige zusätzliche Handhabe, um sich auf die schwersten Menschenrechtsverstöße konzentrieren zu können.

Diese Reformen basieren im Übrigen auf Plänen, die in Izmir und Interlaken von allen 47 Mitgliedstaaten vereinbart wurden, sowie auf Vorarbeiten des Gerichtshofs selbst. Sie beinhalten auch Vorschläge von diversen Mitgliedstaaten.

Mithilfe dieser Reformen würden wir erreichen, dass die Institutionen, die wir geschaffen haben, um uns gegen anmaßende Regierungen und Verstöße gegen die Menschenrechte zur Wehr zu setzen, zeitgemäß und effektiv arbeiten und sich den schwersten Fällen widmen. Wir appellieren an alle Regierungen, diese Vorschläge zu unterstützen. Das Ergebnis werden stärkere Rechte sein, die besser durchgesetzt werden können und mehr Achtung genießen. (Kenneth Clarke, DER STANDARD, 30.3.2012)