Foto: STANDARD/ÖAW

Die Erforschung sakraler Bauten in der Mongolei führt Wiener Sozialanthropologen auch zu heiligen Steinanhäufungen, den sogenannten Owoos.

Foto: ÖAW

Zwischen 1892 und 1905 sammelte Hans Leder heilige mongolische Objekte.

Foto: ÖAW

Maria-Katharina Lang rührt mit ihrer Forschung an die Grenzen der Wissenschaft. Die Sozialanthropologin leitet ein Forschungsprojekt über heilige Gegenstände der mongolischen Kultur und ist damit in der wissenschaftlichen Praxis permanent mit religiösen Traditionen, politischen Repressionen und persönlichen Erinnerungen konfrontiert.

Bei einem Symposium, das gestern, Dienstag, am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Akademie der Wissenschaften in Wien stattfand, wurden die Stationen der wissenschaftlichen Spurensuche skizziert.

Ausgangspunkt des Forschungsprojekts, das durch das Förderprogramm "forMuse - Forschung an Museen" des Wissenschaftsministeriums gefördert wird, ist eine Sammlung des Wiener Forschungsreisenden Hans Leder, die dieser zwischen 1892 und 1905 in der nördlichen Mongolei zusammen getragen hat. Teile davon sind nun im Wiener Museum für Völkerkunde beheimatet. Besonders wertvoll macht Leders Sammlung nicht nur, dass sie eine der umfassendsten in Europa ist, sondern vor allem die historische Komponente: Nur kurze Zeit nach seinen Reisen verschwanden ab den 1930er-Jahren nicht nur die traditionellen Gegenstände aus dem Alltag, sondern auch die Klöster, Tempel und Owoos (sakralen Steinanhäufungen) aus der Landschaft - dem Aufstieg des kommunistischen Regimes geschuldet. Um ihre Ideen und Ideale zu stärken war die Zerstörung sakraler Bauten und Gegenstände ein wichtiger Schritt für das kommunistische System, sagt Projektleiterin Lang.

Radikaler Bruch

Der gebildete Klerus wurde vernichtet. Artefakte, Bücher und heilige Schriften konnten - wenn überhaupt - nur versteckt aufbewahrt werden. Dadurch kam es in der mongolischen Kultur zu einem radikalen Bruch, sagt Lang. Es sind keine großen Kunstwerke, die Leder bei seinen Reisen gesammelt hat - und gerade das macht sie für die Forschung heute interessant. Die 813 in Wien befindlichen Objekte sind Gegenstände der Alltagswelt, Lang nennt sie "Schnappschüsse". Großteils handelt es sich dabei um Ritualobjekte wie kleine Bilder mit religiösen Motiven, Trommeln und Priesterzepter. Es finden sich aber auch ethnografische Gegenstände darunter, wie etwa Schmuck und Skulpturen.

Erst durch die Demokratisierung seit den 1990er-Jahren werden Klöster wieder eröffnet, berichtet Lang. Auch die heiligen Schriften des Buddhismus, die Sutra-Bücher, sind seither wieder zugänglich. Damit gewinnen auch die traditionellen sakralen Gegenstände wieder an Bedeutung für die mongolische Gesellschaft, um heute ein kulturelles Selbstbewusstsein auszubilden, dass vom kommunistischen Regime zerschlagen worden ist.

Die Spurensuche in der Vergangenheit auf den Pfaden von Leder ist damit äußerst bedeutungsvoll für die Gegenwart der mongolischen Kultur. Daher ist Lang die Vernetzung österreichischer und mongolischer Forscher ein großes Anliegen. Nicht nur bei dem Symposium waren zahlreiche Forscher aus der Mongolei in Wien vertreten, auch die Forschungsreisen in den zentralasiatischen Staat werden gemeinsam mit mongolischen Wissenschaftern angetreten. Die Forscher versuchen, Leders damaliger Reiseroute zu folgen (siehe Grafik oben) und dokumentieren dabei die sakralen Plätze und Artefakte.

Belebte Objekte

Dokumentation - das klingt nach einer nüchternen Methode der westlichen Wissenschaftspraxis. Doch was heißt Dokumentation vor Langs Forschungshintergrund? Einerseits geht es um die Oberfläche, die Ikonografie, sagt die ehemalige Kunststudentin, doch das, was sie besonders interessiert, ist das Dahinter liegende, die persönlichen Erinnerungen: "Wie sind Menschen mit sakralen Gegenständen umgegangen, in einer Zeit, als sie nicht da sein durften?"

Die Geschichten, die dabei in zahlreichen Interviews mit Viehzüchterfamilien, Mönchen oder Museumsexperten zum Vorschein kommen, entwerfen mitunter ein Bild, das dem westlichen Verständnis gänzlich fern ist: Sie erzählen von beseelten Gegenständen und der Reue darüber, diese heiligen Objekte zu zerstören oder den verzweifelten Versuchen, das innere Heilige einer Statue zu entnehmen, um es vor der Vernichtung zu bewahren.

Auch auf die Forscher wirkt das Verhältnis der Menschen zu den Objekte zurück. "Es hängt von der eigenen Verfassung ab", sagt Lang. Sie selbst hat manchmal beim Abfotografieren der Artefakte ein merkwürdiges Gefühl beschlichen, als ob man durch den bloßen Lichtabzug etwas "wegnehme", nämlich dann, "wenn man die Vorstellung respektiert, dass so ein Objekt eine wichtige belebte Rolle gespielt hat".

Respekt statt Macht

Gerade der Respekt ist ein zentrales Element der mongolischen Kultur. Wie Bumochir Dulam vom Department für Kultur- und Sozialanthropologie der National University of Mongolia in seinem Vortrag ausführte, ist der mongolischen Gesellschaft im lokalen Dorfverband eine Machtherrschaft völlig fremd. Alleine schon das Wort "Macht" wäre nicht geläufig.

Stattdessen dominiere ein anderer Begriff des Diskurses der gesellschaftlichen Organisation: der Respekt. Freundlichkeit, Bildung, Redegewandtheit und nicht zuletzt das Alter sind einige der Eigenschaften, die einen Menschen zu einer respektablen Persönlichkeit machen würden.

Das Oberhaupt des Dorfes wird zwar in einer Wahl ermittelt, doch entgegen unserem Demokratieverständnis geht dieser kein Wahlkampf voraus - sie fällt schlicht auf denjenigen (manchmal, wenn auch selten, diejenige), dem am meisten Respekt von der Dorfgemeinschaft entgegen gebracht wird. "Macht ist nicht an eine Position gebunden, sondern Macht hat, wer eine respektierte Person ist", sagt Dulam. Seit zehn Jahren begibt sich der Sozialanthropologe in zahlreichen Aufenthalten in mongolische Dörfer, um dort Kultur- und Gesellschaftsgefüge zu erforschen.

Die kulturellen Hintergründe sind für das grundlegende Verständnis von Langs Forschungsmaterie essenziell. In ihrem Bereich sei es schwer, von einem kühlen, objektiven Blick der Wissenschaft zu sprechen: "Der eigene Blick spielt immer eine Rolle. Ich sammle verschiedene Geschichten, die ein Gesamtbild ergeben, das man nicht analysieren oder bewerten muss." (Tanja Traxler, DER STANDARD, 28.3.2012)