Kairo/Wien - Kaum ist die Verfassungsgebende Versammlung in Ägypten gewählt, droht sie bereits im Chaos zu versinken. Angesichts der Übermacht der Islamisten im 100-köpfigen Gremium zogen gleich nach der Wahl - die am Wochenende im islamistisch dominierten Parlament vor sich ging - etliche in die Versammlung gewählte Säkulare, darunter prominente Personen, gleich wieder aus. Für Mittwoch ist die erste Sitzung geplant, sie könnte zum reinen Islamistentreff werden.

Bereits der Modus, wie die Verfassungsgebende Versammlung gewählt wurde, entsetzte die säkularen Kräfte: Das Parlament, in dem die Muslimbrüder-Partei FJP und die radikalen Salafisten zusammen 70 Prozent haben, sicherte sich fünfzig der 100 Plätze in der Versammlung und besetzte diese ihrer Mehrheit im Parlament entsprechend mit einer Mehrheit von Islamisten. Aber auch bei den 50 außerhalb des Parlaments zu vergebenden Mandaten, die sicherstellen sollten, dass die Versammlung die gesamte ägyptische Gesellschaft präsentiert, machten die Islamisten noch fette Beute. Das Resultat ist ein Gremium, in dem 65 von 100 Personen eindeutig islamistischen Kreisen zuzurechnen sind.

Am Dienstag versuchten FJP-Repräsentanten, die ausgezogenen säkularen Mitglieder der Versammlung wieder zurückzuholen, die ohne sie jede Legitimität verlieren würde. Die Muslimbrüder, die in den letzten Monaten mit dem regierenden Militärrat eine Art Burgfrieden hielten, haben kein Interesse an einem Dauerkonflikt im Parlament. Denn sie befinden sich seit dem Wochenende mit den Militärs in einer gröberen Auseinandersetzung, die sogar zu einer verdeckten Putschdrohung der Armee geführt hat.

Die Attacken der FJP auf die vom Militärrat bestellte Regierung und die FJP-Forderung, selbst das Kabinett zu bilden, beantwortete der Militärrat mit einem Kommuniqué, das vor der Wiederholung historischer Fehler warnte: Das wird allgemein als Hinweis auf die Zeit nach der Revolution 1952 verstanden, als die Armee nicht wie versprochen die Macht wieder abgab und der revolutionäre Honeymoon der Offiziere mit den Muslimbrüdern schnell zerbrach. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 28.03.2012)