Hat der Bassenatratsch in Zeiten von Facebook und Twitter ausgedient? Das fragten sich Stadtforscher, die die Bedeutung des eigenen Grätzls für die Pflege sozialer Netzwerke untersuchten. Und dabei auch herausfinden wollten, welche Rolle Infrastruktur und Wohnumfeld für gesellschaftliche Integrationsprozesse spielen - insbesondere, was das nachbarschaftliche Zusammenleben der eingesessenen und der zugewanderten Bevölkerung betrifft.

"Die Reduktion der Bewertung der Zufriedenheit mit dem Leben vor Ort auf den lokalen Ausländeranteil ist eine zu simple Vereinfachung", betonen Josef Kohlbacher, Ursula Reeger und Philipp Schnell vom Institut für Stadt- und Regionalforschung der Akademie der Wissenschaften (ÖAW). In ihrer Studie führten sie rund 600 Interviews in drei für Wien typischen Wohnvierteln durch und analysierten die wahrgenommene Qualität der Nachbarschaftsbeziehungen in Abhängigkeit von der städtebaulichen und sozialen Struktur.

Fest stehe, dass auch Städter trotz virtueller Kommunikationsmöglichkeiten das urbane Dorf als Ort lokal gebundener sozialer Netzwerke schätzen. Neben engen freundschaftlichen und verwandtschaftlichen Beziehungen seien auch die zufälligen und oberflächlichen Kontakte im Wohnumfeld sehr wichtig. Im Vergleich der drei untersuchten Grätzl zeigt sich, dass das bürgerliche Viertel rund um die Laudongasse in der Josefstadt das höchste Ausmaß an Verbundenheit mit der Nachbarschaft aufweist - unabhängig davon, ob die Bewohner Zuwanderer sind oder nicht.

Unausgewogenen Mischung Am Schöpfwerk

In der Wohnhausanlage Am Schöpfwerk in Meidling würde die bauliche und soziale Situation mit einer unausgewogenen Mischung von armutsgefährdeten in- und ausländischen Haushalten sowie die periphere Lage eher ein Gefühl der Fremdheit erzeugen, so die Wissenschafter. Rund um den Ludo-Hartmann-Platz in Ottakring, das vom gründerzeitlichen Altbaubestand dominiert wird, ist zwar der Zuwandereranteil mit 63 Prozent fast doppelt so hoch wie Am Schöpfwerk, trotzdem bewerten beide Bevölkerungsgruppen die Verbundenheit mit dem Wohnviertel und auch die Zufriedenheit mit dem Zusammenleben etwas positiver.

Die Studie ist Teil des EU-Projekts " Geitonies" (Generating Interethnic Tolerance and Neighbourhood Integration in European Urban Spaces). In Bilbao, Lissabon, Rotterdam, Thessaloniki, Warschau und Wien wurden insgesamt 3600 Interviews durchgeführt. (kri, DER STANDARD, 28.3.2012)