Klar und eindeutig nahm der neue deutsche Bundespräsident Joachim Gauck in seiner ersten Rede gegen den "Ungeist von Fanatikern und Terroristen und Mordgesellen" Stellung: "Speziell zu unseren rechtsextremen Verächtern der Demokratie sagen wir in aller Deutlichkeit: ‚Euer Hass ist unser Ansporn‘ ... Und auch denjenigen, die unter dem Deckmantel der Religion Fanatismus und Terror ins Land tragen und die hinter der europäischen Aufklärung zurückfallen, werden wir Einhalt gebieten."

Die mahnenden Worte vor Ängsten, Ressentiments und Hass gekoppelt mit der Aufforderung, den Mut zu wählen, gelten nicht nur für Deutschland, sondern für alle Länder (auch für Österreich!), in denen das verlorengegangene Vertrauen zwischen Regierten und Regierenden die Zukunft der repräsentativen Demokratie gefährden könnte. Die Bedrohung kommt aber nicht nur von rechts außen, aus dem offenen oder verdeckten neonazistischen Milieu, wo der Rassenhass, vor allem der europäische Judenhass angesiedelt war. Zu Recht wies kürzlich nach dem Anschlag in Toulouse der Leitartikler der Welt darauf hin, dass im Gegensatz zum Rechtsextremismus das, was "in extremen islamischen Milieus an Hetze gegen Juden betrieben wird, kaum Beachtung findet. Es ist Zeit, dass sich das ändert."

Das demokratische Frankreich hat auch im Wahlkampf eine beeindruckende Solidarität mit den Opfern des mit unfassbarer Grausamkeit begangenen Anschlags an den Tag gelegt. Trauer und Würde, Angst und Takt beherrschten anfänglich die Stimmung, doch werden die Debatten und die Schuldzuweisungen unausweichlich die Wahlkampagne auch beeinflussen. Die 500.000 französischen Juden bilden die größte jüdische Gemeinde in Westeuropa. Das Verhältnis zwischen der jüdischen Gemeinde mit engen Verbindungen nach Israel und den über fünf Millionen Muslimen (die zahlenmäßigen Schätzungen schwanken) wird von der politischen Lage im Nahen Osten beeinflusst. Zwar ging die Zahl der antisemitisch motivierten Straftaten in Frankreich 2011 um 16,5 Prozent zurück, doch kommt es nach einer Eskalation im Umfeld Israels sofort zu einer Zunahme der Straftaten in Frankreich, aber auch in anderen europäischen Ländern. Die meisten Täter sind die in Vorstädten in Elend lebenden jugendlichen und von Fundamentalisten gewonnenen Muslime. Ideen, die eine Rechtfertigung für den Hass auf Israel und auf Juden im Allgemeinen bereitstellen, werden im Internet verbreitet.

Fast 70 Jahre nach dem Holocaust wird das Gewaltpotenzial der Antisemiten größer; einen ähnlichen Fall wie in Toulouse kann es jederzeit geben. Man muss allerdings immer wieder betonen, dass - vor allem nach Anschlägen islamischer Terroristen - auch die in Europa lebenden Muslime zu Zielscheiben von rassistisch motiviertem Hass werden. Dass die israelische Regierung berechtigte Proteste gegen ihre unerträglich arrogante Besatzungspolitik als antisemitische Stimmungsmache qualifiziert, besorgt übrigens auch die Geschäfte jener, die ihren antijüdischen Ressentiments endlich freien Lauf lassen können.

Intoleranz, Diskriminierung und Rassenhass müssen also im Sinne Joachim Gaucks überall ohne Rücksicht auf Religion, Abstammung und Farbe bekämpft werden. (Paul Lendvai, DER STANDARD, 27.3.2012)