Mehr direkte Demokratie will Staatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP). So sollten die Bürgerinnen und Bürger zehn Prozent ihrer Lohn- und Einkommensteuer zweckwidmen können, meinte Kurz im Ö1-"Morgenjournal". Bei direkter Demokratie gehe es nämlich nicht nur ums Wahlrecht oder um Volksabstimmungen.

Kurz begründete seine Überlegungen damit, dass man immer von Korruption höre und kaum jemand wisse, wohin sein Geld tatsächlich fließe. Deshalb wäre es sinnvoll, so der Staatsekretär und Obmann der Jungen Volkspartei im ORF-Radio, ein Zehntel der Lohn- und Einkommensteuer zweckzuwidmen. Dafür sollten zwar Kategorien vorgegeben werden, diese sollten breit gefächert sein, etwa über Bildung, Infrastruktur und Sozialleistungen.

Alle gegen die ÖVP

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Günther Kräuter richtet dagegen aus, er halte den Vorschlag für "nicht ganz fertig gedacht". Kräuter amüsiert sich über Kurz' Orientierung an Schweizer Regelungen auf Gemeinde- bzw. "Kantönli"-Ebene. Würde man darauf eingehen, wäre die Forderung nicht weit, gleich zehn Prozent weniger Steuern zu zahlen, meint er. Aus Sicht Kräuters würde eine solche Regelung zu überdotierten Budgets und ökologischen Fehlentwicklungen etwa beim Spritpreis führen. Außerdem schaffe man damit ein Bürokratiemonster, so der SPÖ-Bundesgeschäftsführer.

Grünen-Budgetsprecher Werner Kogler sprach am Montag in einer Aussendung von einem "Rohrkrepierer der Sonderklasse". "Eine solche Zweckwidmung würde große Teile der Bevölkerung, die keine Einkommensteuer, aber viele andere Steuern wie etwa die Umsatzsteuer zahlen, von der Mitbestimmung ausschließen."

Für BZÖ-Chef Josef Bucher ist der Vorstoß "völlig unglaubwürdig, da die rot-schwarze Bundesregierung soeben genau das Gegenteil gemacht hat, indem die Zweckwidmung bei der Wohnbauförderung fälschlicherweise abgeschafft wurde". SPÖ und ÖVP sollten lieber die Steuern senken und Bürokratie abbauen.

Akkordierter Vorschlag

Hinter seinen Parteifreund stellte sich hingegen ÖVP-Chef Michael Spindelegger. Es handle sich um einen "akkordierten Vorschlag" von Kurz, der nun in die koalitionäre "Steuerstrukturkommission" eingebracht werden solle, sagte Spindelegger-Sprecher Thomas Schmid zur APA. Auch der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Christoph Neumayer, ortete in einer Aussendung einen wichtigen Impuls für eine Debatte über die Verantwortung der Politik gegenüber ihren Bürgern.

Steuerexperte Georg Salcher von der Wiener Steuerberatungskanzlei Consultatio kennt aus der Praxis kein vergleichbares System. "Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie das umgesetzt werden soll", ortet er im Gespräch mit derStandard.at eine etwas unausgegorene Idee.

2,7 Milliarden Euro zur Disposition

Rund 27 Milliarden Euro Lohn- und Einkommensteuer fließen pro Jahr ins Budget, es dreht sich demnach um 2,7 Milliarden Euro, über die die Steuerzahler selbst entscheiden könnten - das sind knapp zwei Prozent aller Staatsausgaben. Mitbestimmen könnten auf diese Weise etwa zwei Drittel aller Beschäftigten, Pensionisten und Unternehmer, der Rest verdient so wenig, dass er nicht steuerpflichtig ist. Die Zweckwidmung, so Kurz, sollte direkt auf der Steuererklärung angegeben werden. Mehr Bürokratie befürchtet er dadurch nicht, sofern verstärkt auf E-Government gesetzt werde. (red, derStandard.at, 26.3.2012)