Michael Cerveny von der ÖGUT.

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STANDARD: Rohöl war 2011 mit 111 Dollar je Fass im Jahresmittel teuer wie nie; heuer hat es einen weiteren kräftigen Preisanstieg gegeben. Alles bestens?

Michael Cerveny: Im Sinne der Nachhaltigkeit ja. Wegen des teuren Öls geht bei erneuerbaren Energien etwas weiter, im OECD-Raum sinkt der Ölverbrauch, und ein Heizölpreis von über einem Euro je Liter ist möglicherweise der entscheidende Treiber, dass Leute, die bisher noch geschwankt haben, ob sie auf ein anderes Heizsystem umsatteln sollten, dies jetzt tatsächlich tun.

STANDARD: Bringt teures Öl einen Schub bei neuen Technologien?

Cerveny: Das dauert erfahrungsgemäß länger. Es gibt aber viele Technologien, die längst bekannt, aber noch nicht marktführend sind: Pelletsheizungen, Solaranlagen, Wärmepumpen. Die Reihenfolge heißt nach wie vor: Gasheizung vor Ölheizung.

STANDARD: Andererseits hat es im Bereich Verbrennungsmotor Fortschritte gegeben. Autos, die früher acht oder zehn Liter auf hundert Kilometer verbraucht haben, können jetzt mit vier Litern fahren.

Cerveny: Unterschätzt wird aber der Rebound-Effekt: Die mögliche Energieeinsparung wird durch stärkere Motorisierung, mehr Gewicht, mehr Extras in den Autos aufgefressen. Erst seit der Spritpreis so hoch ist, beginnt der Durchschnittsverbrauch zu sinken, aber immer noch zu wenig.

STANDARD: Der Benzinpreis nähert sich der Zwei-Euro-Marke oder hat sie - wie in Italien - bereits getestet. Gibt es keine Schmerzgrenze?

Cerveny: Ich glaube schon. 2008 war das so, als der Rohölpreis auf 147 Dollar je Fass explodiert ist ...

STANDARD: ... das war ein Ausreißer, die Preise kamen schnell wieder zurück. Jetzt hingegen leben wir schon längere Zeit mit teurem Öl.

Cerveny: Jetzt ist es noch ärger als 2008, das stimmt. Damals hatten wir aber auch vier, fünf Monate lang Preise von gut 120 Dollar je Fass. Nach dem Platzen der Immobilienblase in den USA ist der Ölpreis dann auf unter 40 Dollar gefallen. Es gibt Ökonomen, die sagen, dass es kein Zufall war, dass die Finanzkrise mit dem hohen Ölpreis zusammengefallen ist.

STANDARD: Sollte der Streit um Irans Atomprogramm eskalieren und den Ölpreis nach oben katapultieren, was dann?

Cerveny: Hohe Ölpreise über längere Zeit treiben die Inflation. Um diese in den Griff zu bekommen, drehen die Notenbanken an der Zinsschraube. Hohe Zinsen aber würgen die Konjunktur ab. Tatsächlich sind fünf der insgesamt sechs Rezessionen, die die USA in den letzten 40 Jahren durchlebt haben, mit hohen Ölpreisen zusammengefallen.

STANDARD: Saudi-Arabien hat angekündigt, alte, ausgediente Ölfelder zu reaktivieren und mehr Öl zu produzieren mit dem Ziel, den Fasspreis in der Gegend von 100 Dollar zu stabilisieren. Realistisch?

Cerveny: Das bleibt abzuwarten. Die Analyse, dass ein zu hoher Ölpreis eine weltweite Rezession und einen Kollaps der Ölpreise ähnlich wie im zweiten Halbjahr 2008 verursachen könnte, ist in Saudi-Arabien angekommen. Man könnte sagen, der Feind des hohen Ölpreises ist der hohe Ölpreis.

STANDARD: Wie glaubhaft ist die Ankündigung der Saudis?

Cerveny: Erstens haben sie schon wiederholt angekündigt, mehr Öl zu produzieren, es dann aber doch nicht geschafft oder stark verzögert. Zweitens sind die Reserven, die Saudi-Arabien noch hat, von minderer Ölqualität. Drittens nimmt der Inlandskonsum dramatisch zu. Lag der Eigenverbrauch des Landes 2005 noch bei einer Million Fass am Tag, sind es jetzt schon knapp drei Millionen. Mineralölprodukte werden subventioniert, um Unruhen vorzubeugen, womit Anreize zu sparsamerem Umgang mit Energie fehlen.

STANDARD: Ist die Vorstellung, wir könnten das Energiesystem binnen weniger Jahrzehnte ändern, nicht etwas naiv?

Cerveny: Es geht nicht darum, ob wir es ändern können, wir werden es ändern müssen, weil uns nichts anderes übrigbleiben wird.

STANDARD: Die beharrenden Kräfte sind doch ungemein stark?

Cerveny: Unter der Oberfläche ist aber einiges in Bewegung. Nicht jeder Jugendliche ist, anders als noch vor wenigen Jahren, auf den Führerschein fixiert. Statt dem Auto gibt es andere Prioritäten. Das macht doch Mut. (Günther Strobl, DER STANDARD, 26.3.2012)