Die überwältigende Mehrheit der in Österreich gezüchteten Schweine sieht auf dem Weg zum Schlachthof zum ersten Mal Tageslicht.

Foto: esskultur.at / K. Seiser

Dass es anders geht - und auch unvergleichlich besser schmeckt -, zeigt ein steirischer Schweinehof.

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"Im Grunde genommen betreibe ich hier auch Massentierhaltung", sagt Biobauer Norbert Hackl am Tor zu seinem Schweinemastbetrieb Labonca, nahe der burgenländischen Grenze im steirischen Burgau. Die starke Ansage wird durch den Anblick des Hofs freilich drastisch relativiert. Das Tor führt auf eine so große Weide, dass man deren Ende nicht sehen kann. Schweine übrigens auch nicht.

Wie jeden Freitag führt der 39-jährige Hackl Interessierte zu seinen Sonnenschweinen. Was der Biobauer unter "Massentierhaltung" versteht: 20 Hektar Weidefläche für 200 Mastschweine, 20 Mutterschweine und drei Eber. Die Menschengruppe steht jetzt mitten auf der Zuchtweide. Aus dem Grasgrün zeichnen sich kupferrote Ohrwascheln ab. Ein Ferkel hat sich in den Schatten gelegt und schläft. Alle Sonnenschweine sind behaart. Nicht so stark wie Wollschweine, aber genug, um sie vor Kälte und Hitze zu schützen. Sie sind eine Kreuzung aus Schwäbisch-Hällischem Landschwein und Duroc. "Ich wollte nie Fettschweine züchten", sagt Hackl, "sondern ganz normale." Seine Frau Ulrike habe 2003 den Anstoß gegeben, die Stallhaltung zu beenden und das Wagnis ganzjähriger Freilandhaltung einzugehen. Bio war bloß die Draufgabe.

Drei Millionen Schweine

Jetzt, im zehnten Jahr, kennt Hackl seine Zuchtsauen längst mit Namen. Eine davon wird gerade von Edi, Berti oder Flo - auf die Distanz kann das nicht einmal Hackl sagen - besprungen. Der Natursprung ist in der Schweinezucht mittlerweile so selten wie die Freilandschweine selbst. Nur wenige Promille der drei Millionen Schweine in Österreich leben auf so viel Platz im Freien.

In einem der hölzernen Unterstände liegt eine Zuchtsau auf einem Haufen Stroh. Sie hat an diesem Morgen geworfen. Hackl führt die Gruppe bis auf ein paar Meter heran. Die Sau beobachtet die Gruppe, vor allem aber Hackl. Dann beschließt sie, die Ferkel mit ihrem mächtigen Rücken abzuschirmen, sicher ist sicher. Ein paar hundert Meter weiter galoppieren ältere Ferkel um ihre Mütter. Eine weitere Zuchtsau kühlt sich in einem Tümpel ab. Schweine können nicht schwitzen, sie müssen sich suhlen.

Maximierung der Lebensqualität

Jemand spricht das Thema Kastration an. Die männlichen Ferkel werden hier erst im Alter von zwei Monaten unter Vollnarkose kastriert. Gesetzlich vorgeschrieben ist die Narkose nicht, aber für Hackl steht nicht die Gewinnmaximierung - "das haben wir noch nicht ganz heraußen" -, sondern die Maximierung der Lebensqualität seiner Viecher im Mittelpunkt. Das Futter - Getreide und Hülsenfrüchte - stammt von weiteren 25 Hektar Labonca-Flächen. Soja und Mais füttert Hackl aus Prinzip nicht.

2010 hat Hackl, als erster Bauer überhaupt, den österreichischen Tierschutzpreis bekommen. Die Produkte vom Sonnenschwein - neben Frischfleisch rund 70 verarbeitete Spezialitäten - werden regelmäßig prämiert. Hackls Partner Franz Wirth, ehemaliger Haubenkoch, verarbeitet das Fleisch der Sonnenschweine zu langsam gereifter Salami (Fenchel! Muskatblüte!), Schmalzgenüssen in zehn verschiedenen Geschmacksrichtungen, luftgetrocknetem oder geräuchertem Speck, Mini-Würsteln und Bratwürsten von rarem Wohlgeschmack.

Ein Weideschlachthaus

Das Missing Link zwischen den Sonnenschweinen und ihrem Speck - die Schlachtung - verschweigt Hackl nicht: "Bis 2010 habe ich selbst geschlachtet. Dann hätten wir wegen Gesetzesänderungen sehr hohe Investitionen tätigen müssen, ohne dass uns das Ergebnis befriedigt hätte." Derzeit werden die zwölf bis 14 Monate alten Sonnenschweine in einem 30 Fahrminuten entfernten Fleischerbetrieb geschlachtet. Die Tiere seien den Transporter vom Transfer zwischen den sechs verschiedenen Weiden gewöhnt. Das sei zwar ein wenig unfair, sagt Hackl, dass die Schweine nichtsahnend zum Schlachthof gefahren werden würden, aber erstens verabschiede er die Tiere immer, und zweitens gehöre das eben dazu. Weil Hackl Stress für die Tiere möglichst vermeiden will, plant er nun das nächste Projekt: ein Weideschlachthaus. In zwei bis drei Jahren soll es fertig sein.

Die Tiere werden dann direkt auf der Weide betäubt und im Weideschlachthaus verarbeitet werden. Das ist so unerhört anders als der Fließband-Schlachtbetrieb in Österreich, dass schon jetzt die Boku Wien, die Vetmeduni Wien, die Vetsuisse Zürich und Tierschutzorganisationen wie Vier Pfoten das Projekt begleiten. Bloß die Finanzierung ist noch nicht geklärt. 250.000 Euro sind nötig. Hackl und Wirth setzen auf ihre verfressene Kundschaft und bieten Genussscheine an. Wer sie erwirbt, bekommt den geleisteten Beitrag samt Zinsen in Form von Naturalien vom Sonnenschwein zurück - zehn Jahre lang. Ob sein Modell der Freilandschweinehaltung eigentlich massentauglich sei? "Ein gutes Drittel der Betriebe in Österreich könnte man locker umstellen", ist Hackl überzeugt, "die Flächen wären vorhanden." Und den Rest? "Mehr braucht man ja nicht, weil man vom besseren - und teureren - Fleisch sowieso weniger isst." (Katharina Seiser, Rondo, DER STANDARD, 23.3.2012)