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Bulgarisch-türkischer Grenzübergang Kapitan Andreevo: Die EU bietet Ankara lediglich einen "Dialog" über die phasenweise Aufhebung des Visumzwangs für bestimmte Gruppen an. 

Foto: AP/dapd/Valentina Petrova

Zweieinhalb Stunden hinter Istanbul, an der Grenze im Westen, hängt ein großer Vorhang. Reisen ist nicht unmöglich für die Türken. Es ist nur unendlich lästig. "Hört endlich mit dem Blödsinn auf", verlangte Europaminister Egemen Bagis bei einem Treffen der Türkei-Kommission des Europäischen Parlaments in Istanbul im vergangenen Monat. Die Stellung der Türkei in der heutigen Welt verdiene nicht diese Visa-Auflagen für Reisen in die Europäische Union. Um das Dauerthema Visa wird es auch beim Besuch von Außenminister Ahmet Davutoglu in Wien am heutigen Donnerstag gehen.

Flugtickets und Hotelbuchungen vorweisen ist für Türken ein Muss beim Visaantrag an den EU-Konsulaten. Wer auf die Idee kommt, mit dem Auto übers Wochenende nach Griechenland zu fahren, blitzt in der Regel ab: Rückkehr unsicher. Dann heißt es auf Visa-Tournee durch die Istanbuler Konsulate gehen und einen freundlichen Beamten finden.

Urteile geben Ankara Recht

Die Europäische Stabilitätsinitiative (ESI) hat nun die Visa-Praxis zur großen Genugtuung der türkischen Regierung in Bausch und Bogen verurteilt: illegal, politisch unüberlegt, auf falschen Annahmen über die Türken und die Türkei basierend, heißt es in einem neuen Papier der in Istanbul und Brüssel ansässigen NGO.

ESI stützt sich auf eine Reihe von Gerichtsurteilen vor allem in Deutschland in den vergangenen Jahren, in denen türkischen Urlaubern und Geschäftsreisenden sehr wohl das Recht zugesprochen wurde, sich ohne Schengen-Visa im Land aufzuhalten. So hatte Anfang 2011 eine Türkin mit Erfolg vor einem Münchner Gericht geklagt; ihr war auf dem Flughafen nach einer verspäteten Landung von den Grenzbeamten verwehrt worden, den Transitbereich zu verlassen und sich ein Hotelzimmer zu nehmen. Auch in den Niederlanden - ein anderer Hardliner in Fragen des Visazwangs für Türken - entschied ein Verwaltungsgericht erst vergangene Woche, dass türkische Geschäftsleute kein Visa brauchen und bis zu drei Monate im Land bleiben dürfen. Alles andere sei eine Verletzung des Assoziationsabkommen von 1963 zwischen der Türkei und der damaligen EWG.

Davutoglu, der nach einer konfliktreichen Phase in den Beziehungen einen Besuch seines österreichischen Kollegen Michael Spindelegger vom Herbst 2010 erwidert, wird in Wien erneut die Aufhebung des Visumzwangs verlangen. Österreich werde in dieser Frage nicht einzeln betrachtet, heißt es aus diplomatischen Kreisen, wiewohl es nach wie vor als eines der Länder wahrgenommen werde, die an der Idee einer "europäischen Festung" gegen die Türkei festhalten. Weit mehr konzentriert sich Ankaras Ärger in der Beitritts- und Visafrage auf Frankreich.

Die EU-Innenminister hatten nach dem Abschluss einer Rücknahmevereinbarung von Flüchtlingen mit der Türkei lediglich einen " Dialog" über die phasenweise Abschaffung des Visumzwangs für Geschäftsleute, Künstler und Studenten in Aussicht gestellt. Ankara ging davon aus, dass die Flüchtlingsregelung das Gegengeschäft für ein Ende der Visa darstelle und fühlte sich düpiert. Dass Serben, Albaner und Bosnier mittlerweile ohne Visa einreisen können, empfindet Ankara als Zurücksetzung. (DER STANDARD, 22.3.2012)