Hinterleitner, Bauer, North, Petz, Fiedler und Zarinfard diskutierten an der FH Wien über prekäre Beschäftigungsverhältnisse im Journalismus.

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"Wir können die Kuh nur melken, wenn sie Milch gibt", sagt Hermann Petz. Er sitzt für den VÖZ am KV-Verhandlungstisch und kritisiert Facebook, Google und Co. als "Feinde", die ein faires Finanzierungsmodell konterkarieren würden.

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"Es ist kein Individual-, sondern ein Systemproblem", sagt Sahel Zarinfard und meint damit die prekären Beschäftigungsverhältnisse im Journalismus. Es werde immer welche geben, die vielleicht sogar gratis arbeiten, um einen Fuß in die Tür von Redaktionen zu bekommen. Deswegen, so Zarinfard, brauche es gesetzliche Rahmenbedingungen, die der systematischen Ausbeutung von Jungjournalisten einen Riegel vorschieben. Die Forderungen reichen von höheren Zeilenhonoraren bis hin zu einer sozialrechtlichen Absicherung, die diesen Namen auch verdient.

Zarinfard ist Journalistin beim Onlinemagazin "Paroli" und Mitinitiatorin eines Offenen Briefes, der die Arbeitsbedingungen in der Branche anprangert - und bis jetzt von mehr als 650 Personen unterzeichnet wurde. Auf Initiative von "Paroli" wurde am Dienstagabend an der Fachhochschule Wien über die Situation im Journalismus diskutiert.

"Zwei-Klassen-Gesellschaft"

Hoffnungen setzen viele Medienvertreter in den neuen Kollektivvertrag, der derzeit zwischen dem Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) und der Journalistengewerkschaft ausverhandelt wird. Mit dem Ziel, Print-und Onlineredaktionen vertraglich unter einen Hut zu bringen. Bis 1. Juli sollen die Verhandlungen abgeschlossen sein, um die "Zwei-Klassen-Gesellschaft" zu beenden, wie es Hermann Petz, Vorstandsvorsitzender der Moser Holding, formuliert. Petz sitzt für den VÖZ am Verhandlungstisch. "Wir können die Kuh nur melken, wenn sie Milch gibt", sagt er und kritisiert gleichzeitig die "Feinde", die ein faires Finanzierungsmodell konterkarieren würden.

Seiner Meinung nach sind das Google, Facebook und Co. "Die Werbegelder fließen dorthin ab", so Petz. Er fordert eine gemeinsame Initiative zum Urheberrecht, um die "Nachrichtenaggregatoren" in die Schranken zu weisen, denn: "Wie behält man diesen Kuchen im Land, damit man Journalisten gerecht bezahlen kann?"

Solidarität

"Es geht nicht um einen Klassenkampf", meint Gerlinde Hinterleitner, Geschäftsführerin von derStandard.at, aber: "Jene, die drinnen sind, haben es gut." Sie wünscht sich seit "zehn Jahren" einen neuen Kollektivvertrag. Die Abgesicherten seien nicht bereit, etwas herzugeben, damit es den Jungen besser gehe. In seiner jetzigen Form sei der Journalisten-Kollektivvertrag für Medienhäuser nicht finanzierbar. Hätte derStandard.at seine Redakteure nach diesem Vertrag angestellt, "hätten wir die schwierige Anfangsphase nicht geschafft", so Hinterleitner.

Derzeit kommt bei derStandard.at der Informationstechnik-KV zur Anwendung. Bei einer Einigung zwischen Verlegern und Gewerkschaft werde der Wechsel in den neuen Kollektivvertrag vollzogen, versichert Hinterleitner. Das Unternehmen werde das eine "sechsstellige" Summe kosten, schätzt sie.

Absicherung und Rechtssicherheit

Beim "Kurier" ist momentan der KV für Werbung und Marktkommunikation im Einsatz, wie Marie North, Betriebsrätin bei kurier.at, erläutert: "Die Arbeitsbeschreibung passt nicht zu dem, wie tatsächlich gearbeitet wird." Vom neuen Kollektivvertrag erhofft sie sich neben der finanziellen Besserstellung auch eine "Rechtssicherheit" für journalistische Tätigkeiten, die in anderen Kollektivverträgen nicht verankert sei.

"Achtung, Falle"

Automatische Gehaltssprünge, 15 Gehälter und sechs Wochen Urlaubsanspruch sind einige der "Zuckerln" aus dem alten Journalisten-Kollektivvertrag, die es für Junge nicht mehr geben wird. Gewerkschaftsvertreter Franz C. Bauer ortet einen billigen Versuch, Generationen gegeneinander auszuspielen: Jung gegen Alt. "Achtung, Falle", warnt Bauer vor einer Entsolidarisierungswelle, "wir sollen uns nicht gegenseitig zerfleischen." Er zitiert aus einer Branchenstudie, wonach Verlage gut dastehen würden. Ergo könne es nicht am Geld scheitern.

An freie Journalisten appelliert er, sich an die Gewerkschaft zu wenden. Flächendeckenden Missbrauch dürfe es nicht geben, etwa in Bezug auf Kettenverträge oder "Scheinfreie", die wie Angestellte arbeiten: "Wenn wir etwas erfahren, gehen wir dagegen vor." Auch vor Gericht. "Freie sind in Wirklichkeit ein Damoklesschwert über der Bilanz von Unternehmen." Forderungen könnten noch drei Jahre nach Ende des Beschäftigungsverhältnisses eingebracht werden.

Zarinfard: Mit Klage manövriert man sich ins Abseits

"Wer klagt schon?", fragt Sahel Zarinfard. In einem Metier, in dem beinahe jeder jeden kennt, habe man danach keine Chance mehr, bei einem Medium unterzukommen. "Man kann es schon riskieren", kontert Franz C. Bauer. Er selbst landete mit seinen Forderungen zweimal vor dem Arbeitsgericht - und bekam danach wieder einen Job. "Kommt zu uns", rät Bauer. "Wir als Gewerkschaft haben die Infrastruktur. Aber kämpfen muss jeder für sich."

Ein Kollektivvertrag für alle Journalisten

Um eine gerechte Entlohnung kämpfen auch die freien ORF-Mitarbeiter. "Es gibt Leute, die von 800 Euro pro Monat leben müssen", kritisiert Michael Fiedler, FM4-Radioredakteur und Vertreter der ORF-Freien. Derzeit wird mit der ORF-Geschäftsführung um höhere Honorare gefeilscht, Radiodirektor Karl Amon hat eine Lösung bis Sommer in Aussicht gestellt. Das deklarierte Ziel der Freien: eine Verdoppelung der Honorare, so Fiedler, der als Beispiel öffentlich-rechtliche Sender in Deutschland erwähnt, die freien Journalisten viel mehr zahlen würden als der ORF. Er plädiert für einen Kollektivvertrag, der auf alle Redakteure anwendbar sei.

Petz: Gehaltsstruktur lässt sich nicht weiterführen

Das hält Gewerkschafter Bauer für illusorisch: "Das klafft zu sehr auseinander." Sowohl bei den Beschäftigungsverhältnissen als auch beim Gehalt. Wie groß die Lücke ist, erklärt VÖZ-Vertreter Hermann Petz anhand von Journalisten im eigenen Verband. Einer, der schon länger nach dem Journalisten-Kollektivvertrag beschäftigt sei, verdiene 7.000 Euro pro Monat, junge Kollegen nur 1.000 Euro. Für die gleiche Tätigkeit. Es gehe um ein gesundes Mittelmaß, weil die "Monopolstellung" von Zeitungen längst passé sei. Das Durchschnittsgehalt von VÖZ-Journalisten nach dem Journalisten-KV beträgt 72.000 Euro, erklärt Petz. "Das lässt sich nicht weiterführen." Onlineredaktionen könnten bei diesem Gehaltsniveau nicht betriebswirtschaftlich geführt werden.

Missverhältnis

Die derzeitigen Missstände im Journalismus seien natürlich auch eine Folge des Arbeitsmarktes, meint wiederum Gewerkschafter Bauer. Angebot und Nachfrage würden sich nicht die Waage halten. Das Verhältnis zwischen freien Jobs und Jobaspiranten sieht er bei 1:7. "So passieren leider inakzeptable Dinge." In die Verantwortung nehmen will er - neben den Verlegern - auch die öffentliche Hand. Über Inserate würden gewisse Medien mit Millionen gestützt. "Wer fragt nach den Arbeitsbedingungen dort?" Die Anzeigenvergabe könnte man von den "sozialen Zuständen", die in diesen Unternehmen herrschen, abhängig machen. Und so zumindest etwas Druck aufbauen. (om, ae, derStandard.at, 21.3.2012)