Obwohl in Tschechien niemand an einer klaren Mehrheit für den EU-Beitritt gezweifelt hatte, brachten die Detailergebnisse des Referendums vom Freitag und Samstag doch einige Überraschungen. Dazu gehörte insbesondere die gleichmäßige Verteilung der Unterstützung bei allen Bevölkerungsgruppen. Besonders markant fiel dies mit 75 Prozent bei den Senioren aus, die noch vor der Abstimmung zu den "Risikogruppen" gezählt wurden. Weit geringer als ursprünglich angenommen waren auch die Unterschiede zwischen Großstädten und Landgemeinden. Eindeutig gestärkt wurde durch die 77-prozentige Zustimmung bei einer Beteiligung von 55 Prozent das Mitte-links-Kabinett des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Vladimir Spidla.

Die Regierung war in den letzten Wochen vor der Abstimmung wachsender Kritik wegen ihrer Werbelinie ausgesetzt gewesen. Kritiker meinten, die umgerechnet knapp sieben Millionen Euro teure Kampagne gehe an den Bürgern spurlos vorbei und wecke keine positiven Emotionen.

Es ist nicht auszuschließen, dass die Tschechen im Zusammenhang mit der EU in naher Zukunft noch einmal an die Urnen gebeten werden, wenn nämlich die nächste europäische Regierungskonferenz endgültig über die künftige Gestalt der Union und deren Verfassungsvertrag entscheiden wird. Eine entsprechende Forderung wurde am Vorabend des Beitrittsreferendums bereits von der oppositionellen rechtsliberalen Bürgerpartei (ODS) von Staatspräsident Václav Klaus gestellt. Premier Spidla ließ in den vergangenen Wochen durchblicken, dass er sich ein zweites Europareferendum durchaus vorstellen könne. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.6.2003)