In der Strahlentherapie, mitten in der "Krebsmaschine".

Foto: Standard/Matthias Cremer

Krebs ist nicht nur eine Erkrankung, sondern auch eine Maschinerie. Es gibt verschiedene Formen von Brustkrebs, unterschiedliche Therapien, den Schock der Diagnose, Gespräche mit Ärzten, mit Familie, Freunden und dem Arbeitgeber, Spitalsaufenthalte, das Überbrücken von Wartezeiten. Als Patientin versteht man zum Zeitpunkt der Diagnose oft kaum, was einen erwartet, weiß nicht einmal genau, welche Fragen es zu stellen gilt.

"Die Angst spielt eigentlich bei allen Patientinnen die Hauptrolle - und führt letztendlich zu Überforderung", sagt Emmi Agha, Leiterin der Selbsthilfegruppe Brustkrebs in Eisenstadt. In den regelmäßigen Treffen haben die Frauen dort die Möglichkeit, Erfahrungen auszutauschen. "Die Mehrheit von uns hat eigentlich Angst vor Studien. Wer wird gefragt? Und warum?", fasst sie eine Grundstimmung von Betroffenen zusammen. Jene, die mitmachen, müssten einen ganzen Packen von Fragebögen ausfüllen, " viele schaffen das einfach nicht", kann sie berichten.

"Die Bedeutung der klinischen Forschung am Beispiel Brustkrebs" lautete der Titel einer von der Pharmafirma Novartis organisierten Veranstaltung, ein Thema, dem sich auch der Arzneimittelhersteller Roche in seinem gestrigen Health-Talk widmete. "Ohne Patientinnen wäre Fortschritt in der Behandlung von Brustkrebs nicht möglich", betonte Martin Steinhart, medizinischer Direktor von Roche. Die Pharmaforschung hat die Patientinnen als Schlüsselfaktor entdeckt und setzt auf Aufklärung. Doch zuerst gab es eine Art Reality-Check. Zum Novartis-Workshop geladen war Günter Steger, der die große österreichische Erfolgsstory in der Krebsforschung, die Austrian Breast and Colorectal Cancer Study Group (ABCSG) vertrat.

Im Gegensatz zu vielen anderen Studiengruppen hat die ABCSG es geschafft, in mehr als 100 Spitälern präsent zu sein und Frauen für Versuchsreihen zur Klärung wissenschaftlicher Fragestellungen an neue Medikamente zu gewinnen. Aktuell werden unter anderem Fragen zum hormonrezeptorpositiven Brustkrebs geklärt, die ABCSG konnte 3400 Frauen für die Studie rekrutieren. Insgesamt nahmen in den letzten Jahren 20. 000 Frauen in unterschiedlichen Studienreihen teil. Das eiserne Grundprinzip: Je größer die Studiengruppe, umso relevanter sind auch die Ergebnisse. "Die Zeiten, in denen Medikamente auf die Empfehlung einzelner Experten am Markt zugelassen wurden, sind lange vorbei, wir müssen grundsätzlich immer die Wirksamkeit und die Sicherheit eines Medikaments für viele Menschen beweisen", betonte Wolfgang Bonitz, medizinischer Direktor von Novartis. Das sei aufwändig, kostspielig und zeitintensiv. "Nach derzeitigem Wissensstand glauben wir, dass wir zunehmend mehr Subgruppen bei Brustkrebs entdecken werden.

Ziel ist, sie mit immer spezifischeren Arzneimitteln behandeln zu können", bestätigt Onkologe Günther Steger von der Universitätsklinik für Innere Medizin am AKH Wien. Die Konsequenz: Je spezifischer Patientinnengruppen werden, umso schwieriger wird es sein, die notwendige Anzahl von Teilnehmerinnen zusammenzubekommen und damit die Wirkung neuer Therapieansätze nachweisen zu können. Nicht nur Universitätskliniken, auch kleinere Spitäler müssten deshalb in die Forschung mit eingebunden werden, so der Grundtenor. "Da geht es um politische Entscheidungen, in Niederösterreich wurden die Bemühungen der ABCSG, unser Netz auch in die regionalen Krankenhäuser auszuweiten, vom Landeshauptmann abwärts ganz gezielt gestoppt", kann Steger berichten.

Hoher Stellenwert

Worum es geht? "Mittlerweile sprechen wir bei allen Gesundheitsfragen primär über die Kosten, Forschung verliert in nichtuniversitären Krankenhäusern deshalb ihren Stellenwert", bestätigt Bernhard Schwarz, der Leiter des Karl-Landsteiner-Instituts für Gesundheitsökonomie. Das Durchführen von Studien verursache schlicht Kosten, die sich manche Spitäler im Kostendruck einfach nicht leisten wollen, so der Experte.

Dieser Kampf um die Finanzen wird auf lange Sicht auf dem Rücken der Brustkrebs-Patientinnen ausgetragen. Wie eine von Roche bei der Karmasin-Motivforschung in Auftrag gegebene Studie zur klinischen Arzneimittelprüfung nämlich zeigte, sprachen sich 80 Prozent der 500 Befragten im Falle einer schweren Erkrankung eher schon bis ganz sicher dafür aus, ein neues Medikament im Rahmen einer klinischen Studie testen zu wollen. Jeder Fünfte schätzt die Möglichkeit, Zugang zu einem neuen Medikament zu bekommen, denn ganz prinzipiell stuft man die Sicherheit bei klinischen Prüfungen als sehr hoch ein. Allerdings verstehen nur 43 Prozent der Befragten, was eine "klinische Studie" genau ist.

Hier besteht Nachholbedarf. "Die Erziehung und Weiterbildung der Ärzte in diese Richtung wird entscheidend sein", vermutet Onkologe Steger und schlug das Einsetzen von Studienadministratoren zur Unterstützung der behandelnden Ärzte auch in kleineren Spitälern vor. Das große Problem: Die öffentliche Hand ist bei derartigen Initiativen geizig. "Der Forschungsstandort Österreich ist damit in Gefahr. In der pharmazeutischen Forschung gibt es internationalen Wettbewerb, dessen sind sich viele politisch Verantwortliche einfach nicht bewusst," warnte Pharma-Experte Bonitz.Für Betroffene bleiben diese Strukturen hinter den Kulissen meist verborgen. Es zählen praktische Fragen. "Wenn man sich auf so eine Studie einlässt, ist es noch viel wichtiger, dass der betreuende Arzt nicht ständig wechselt", sagte Emmi Agha und kennt das Problem aus eigener Erfahrung. Nur wenn Vertrauen besteht, wagen sich die Menschen auch tatsächlich nachzufragen. Wie profitiere ich persönlich von der Studie? Welche Substanz wird getestet? Was ist randomisiert-doppelblind? Und warum bin ich, aber meine Bekannte, die auch Brustkrebs hat, nicht in der Studie?

Für die Beantwortung solcher Bedenken müssen Ansprechpartner geschaffen werden. "Wir experimentieren nicht", ist Steinharts wichtige Message.Wo die Experten die Zukunft sehen? Immer mehr Arten von Brustkrebs würden im Vorfeld genetisch typisiert werden, behandelt würde nicht nach dem Gießkannenprinzip wie in den letzten Jahrzehnten, sondern zielgruppenspezifisch. "In jeder neuen Studie klären wir Fragen, dafür eröffnen sich andere neue, so passiert Fortschritt", sagt Steger. Ohne Engagement von Patientinnen sei dieser nicht möglich. "Ich bin für Forschung, vor allem die Nebenwirkungen sind viel erträglicher geworden", sagt Emmi Agha, die seit 17 Jahren mit der Erkrankung lebt. "Krebszellen gewöhnen sich auch an die Therapie", erklärte Steger. Ein universales Wundermittel gegen Krebs werde es nicht geben, nur schrittweise Verbesserungen, die möglichst lange Lebensqualität sichert. (Karin Pollack, DER STANDARD, 21.3.2012)