Wernher von Braun (Mitte) im Mai 1945 kurz vor dem Regimewechsel von Nazi-Deutschland in die USA.

Foto: National Archives

... trotz seiner lange Zeit geleugneten Verstrickung in das NS-Terrorsystem.

Reutte in Tirol, Anfang Mai 1945: Vier Protagonisten der NS-Raketenforschung, stehen zwar auf gatschigem Untergrund, schauen angesichts der Umstände ziemlich unbeeindruckt in die Kamera. Kurz zuvor haben sich die führenden Mitarbeiter der Heeresversuchsanstalt Peenemünde auf der Ostseeinsel Usedom den US-Truppen im Süden Deutschlands ergeben.

Der Mann in der Mitte, dessen linker Arm wie zum Versuch eines Hitlergrußes eingegipst scheint, heißt Wernher von Braun und war seit 1937 technischer Direktor in Peenemünde. Den Arm hat er sich der Adelsspross nicht etwa bei der Gefangennahme gebrochen. Nein, der Chauffeur des Raketeningenieurs war hinter dem Steuer eingeschlafen und hatte einen Unfall verursacht.

Kurz bevor von Braun und seine Gruppe auf das Eintreffen der US-Amerikaner warteten, starben Tausende Häftlinge in den Stollen des KZ-Außenlagers Mittelbau-Dora einen grausamen Tod. Sie hatten im Bergwerk im ostdeutschen Thüringen unter furchtbaren Bedingungen Hitlers Wunderwaffe V2 nach den Plänen von Wernher von Braun und seinen Mitarbeitern zusammenbauen müssen.

Doch nicht nur im Osten Deutschlands mussten KZ-Häftlinge für den Raketenbau ihr Leben lassen. Auch im Lager Redl-Zipf in Oberösterreich, für das von Braun Umbaupläne zeichnete und wo ebenfalls an Teilen der V2 gearbeitet wurde, fanden insgesamt 267 KZ-Insassen den Tod. Die Rakete wurde damit zu jener Waffe, deren Produktion mehr Opfer forderte – nämlich bis zu 20.000 – als ihre Einsätze, bei denen in London und anderen Städten rund 8000 Menschen, meist Zivilisten, getötet wurden.

Für ihre Einvernahmen durch die US-Amerikaner hatten sich der charismatische Kommunikator Wernher von Braun und seine Kollegen längst ihre eigene Version der Geschichte zurechtgelegt: Sie seien zwangsweise in das Raketenprogramm der Nazis eingebunden worden. Und sie hätten in Peenemünde, wo sie die Pläne für die Raketen zeichneten, nichts von den Bedingungen bei der Raketenmontage in den unterirdischen Fertigungshallen mitbekommen. "Ich möchte nachdrücklich feststellen, dass ich während meiner Besuche nie einen Gefangenen sah", beharrte von Braun noch 1966 über seine Besuche in den Stollen von Mittelbau Dora. Zu diesem Zeitpunkt war von Braun, der Konstrukteur der ersten funktionstüchtigen Flüssigkeitsrakete A4 (der späteren V2) längst zur Lichtgestalt des US-Raketen- und Luftfahrtprogramms avanciert.

Nach einer "Schonfrist" und angeheizt vom Kalten Krieg hatte er seine Arbeiten in den USA bald fortsetzen können. Dem famosen und skrupellosen Raketeningenieur kam eine Schlüsselstellung in den Anfängen der US-Raketenentwicklung zu. Zunächst konstruierte er seinen neuen Vorgesetzten er die "Redstone", die erste atomar bestückte Mittelstreckenrakete der Welt. Kurz nach Gründung der Raumfahrtbehörde Nasa stand er bereits an der Spitze des Entwicklerteams der Saturn-Trägerraketen und arbeitet am Mondflugprogramm Apollo mit. 1970 übernahm er den Posten des Nasa-Planungsdirektors.

Einer der wenigen, der früh die NS-Verstrickungen von Brauns anprangerte, war der Liedermacher Tom Lehrer. In seinem Song über den Raktetenpionier lieferte er gleich auch die legendäre Abwiegelung des Beschuldigten mit: "Call him a Nazi, he won't even frown / 'Ha, Nazi schmazi', says Wernher von Braun".

Das wahre Ausmaß seiner aktiven Beteiligung am NS-System kam erst nach dessen Tod im Jahr 1977 ans Tageslicht: So konnte der deutsche Politologe Rainer Eisfeld in seinem dieser Tage wiederaufgelegten Buch Mondsüchtig – Wernher von Braun und die Geburt der Raumfahrt aus dem Geist der Barbarei zeigen, dass von Braun Hitler seine Dienste gleich mehrfach aktiv anbot. Und dass er sehr wohl vom Terror in den KZ-Außenlagern gewusst hatte.Zeit seines Lebens gestand er das nur allzu selten. Immerhin meinte er in einem Interview 1969, dass die V2-Zwangsarbeiter in einem "erbarmungswürdigen Zustand" gewesen seien – Eindrücke, die "schwer auf der Seele jedes anständigen Mannes lasten". (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 21.3.2012)