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Das Gipfelkreuz auf der Rax und Hallstatt als Postkartenmotive: Globalisierung und Klimawandel in Räumen, die darauf nicht vorbereitet sind.

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Axel Borsdorf: "Den Produkten der alpinen Landwirtschaft fehlen einprägsame und beworbene Markennamen."

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STANDARD: Sie untersuchen den natürlichen und gesellschaftlichen Wandel von Gebirgsregionen. Dort wirkt sich nicht nur der Klimawandel, sondern auch die Globalisierung schneller aus als im Flachland. Warum?

Borsdorf: Wir haben im Gebirge, bedingt durch den Klimawandel, große natürliche Veränderungen und zusätzlich einen Wandel in der Landnutzung. Auf sie wirkt das Klima ein, aber auch Marktveränderungen, lokal und global. Die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten verändert sich. Der demografische Wandel ist auch ein Teil der Globalisierung, nicht nur weil diese zu einer stärkeren Alterung der Bevölkerung führt. Die Mobilität steigt, auch international, und das führt zu einem verstärkten Zustrom von Menschen aus anderen Ländern.

STANDARD: Gebirgsregionen werden also soziokulturell und wirtschaftlich stark von außen beeinflusst?

Borsdorf: Genau. Der weltweite kulturelle Wandel zeigt sich unter anderem in Veränderungen der Ernährungsgewohnheiten, des Musikkonsums und der Kleidung. Beide Prozesse, der Klimawandel und die Globalisierung, treffen in den Gebirgen auf besonders sensible Räume. Aufgrund der speziellen Bedingungen bei den Einstrahlungswinkeln der Sonne verläuft zum Beispiel die Erwärmung an Berghängen schneller als im Flachland. Die Erwärmung hat Auswirkungen auf die Biodiversität, aber auch auf die Wasserversorgung und das touristische Potenzial, insbesondere im Bereich Wintersport.

STANDARD: Und die Folgen der Globalisierung?

Borsdorf: Sie trifft in den Bergen auf wirtschaftlich klein gekammerte Räume, die nicht mit den Großstrukturen der Flachländer konkurrieren können. Die traditionellen Kulturen der Gebirgsregionen, deretwegen die Touristen gerade herkommen, gleichen sich zunehmend einer globalen Standardkultur an. Das wird alles immer mehr zu einem Disneyland. Fazit: Klimawandel und Globalisierung treffen im Gebirge auf Räume, die darauf eigentlich gar nicht vorbereitet sind.

STANDARD: Inwiefern gilt das auch für die Alpen?

Borsdorf: Die Alpen sind das besterforschte Gebirge. Wir haben hier die meiste Erfahrung und das langfristigere Monitoring. Viele Prozesse, die irgendwo gerade beginnen, Probleme zu verursachen, haben bei uns in den Alpen bereits stattgefunden und wurden ausgiebig studiert.

STANDARD: Die alpine Landwirtschaft ist zuletzt stärker unter Druck geraten. Wie kann man das ändern?

Borsdorf: Die Produkte der alpinen Landwirtschaft sind qualitativ hochwertig. Sie erfüllen zu einem großen Teil die Anforderungen des biologischen Landbaus. Dennoch erzielen sie auf dem europäischen Markt keine höheren Preise. Das liegt daran, dass sie nicht über einprägsame und beworbene Markennamen verfügen und auch keine besonderen Prädikate tragen. Würde man versuchen, solche Alpenmarken zu schaffen, und diese, wie irische Butter, europaweit vermarkten würde, dann wären alpine Produkte konkurrenzfähiger.

STANDARD: Ist es also nur eine Frage der Marketingstrategie?

Borsdorf: Nein. Die Probleme der Berglandwirtschaft sind nicht nur durch die Marktsituation bedingt. Es gibt auch große Schwierigkeiten bei der Hofnachfolge. Immer weniger junge Menschen sind bereit, die schwere Arbeit ihrer Eltern als Bergbauern fortzusetzen. Wenn man Tiere hat, kann man eben keinen Urlaub nehmen.

STANDARD: Welche Rolle wird denn der Tourismus für die zukünftige Entwicklung der alpinen Regionen spielen?

Borsdorf: Die Touristikindustrie ist in den Alpen zugleich Segen und Fluch. Wir dürfen nicht übersehen, dass zu der Zeit, als der Fremdenverkehr einsetzte, die Alpengebiete noch von Verelendung bedroht waren. Bis nach dem Ersten Weltkrieg schickten arme Tiroler Bauern ihre Kinder zur Wanderarbeit nach Oberschwaben, um sie im Sommer nicht ernähren zu müssen. Der Tourismus aber hat aus armen Regionen reiche gemacht. In letzter Zeit ist jedoch eine Abnahme seiner Sozialverträglichkeit zu beobachten. Gerade die jüngere Generation lehnt Servilität ab und will nicht mehr nur Dienstleisterin sein. Abgesehen davon wird der Fremdenverkehr auch vom Klimawandel bedroht. Vor allem mittlere Lagen verlie-ren im Winter die Schneesicherheit.

STANDARD: Wie sind die Menschen eigentlich in den Alpenregionen mit den Folgen der früheren Wärmeperiode im Mittelalter umgegangen?

Borsdorf: Im Hochmittelalter herrschten für die Siedler im Alpenraum gute Bedingungen. Die relativ hohen Temperaturen ermöglichten damals die Ausweitung der Landwirtschaftsflächen in größere Höhen hinein. Als dann im Spätmittelalter die Klimaverschlechterung einsetzte, gelang es den Menschen, sich anzupassen. Sie überstanden sogar die sogenannte Kleine Eiszeit mit ihren sehr harten Wintern. Daraus können wir die Hoffnung ziehen, dass sich die Alpenbevölkerung auch an die derzeitige Klimaerwärmung anpassen kann. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 21.3.2012)