Jennifer Lawrence als geprüfte Heldin mit Pfeil und Bogen.

Murray Close

Wien - Eine Leitformel des zeitgenössischen Filmgeschäfts besagt: Was sich schon in anderer Form gut verkauft hat, das wird auch in der Kinokassa noch einmal schön klingeln. Nicht wenige Leinwanderfolge sind folglich aus Jugendbuchbestsellern gemacht. Um einen solchen handelt es sich bei Die Tribute von Panem, im Original The Hunger Games, eine Romantrilogie der Amerikanerin Suzanne Collins, die seit ihrem Erscheinen 2008 bereits ein internationales Millionenpublikum erreicht hat.

Suzanne Collins, die ursprünglich fürs Kinderfernsehen schrieb, orientiert sich nicht an Fantasy und Fabelwesen wie Twilight- Erfinderin Stephenie Meyer, eine Konkurrentin in diesem Marktsegment, sondern an einem klassischen Science-Fiction-Topos: In einer nahen Zukunft heißt Nordamerika Panem und ist in zwölf Distrikte aufgeteilt. Einmal im Jahr werden unter deren jugendlichen Bewohnern jeweils ein männlicher und ein weiblicher Kandidat ausgelost. Diese "Tribute" müssen ihren Distrikt dann in einem Fernsehspektakel auf Leben und Tod vertreten.

Abgewandelter "Spartacus"

Jetzt kommt der erste Teil der Saga weltweit ins Kino (die Verfilmung des zweiten ist erst in Vorbereitung). In sozialen Netzwerken und über Internetkampagnen wurden die Erwartungen der Zielgruppe bereits gut angeheizt. Suzanne Collins selbst hat mit Billy Ray (State of Play) und Gary Ross (Pleasantville) das Drehbuch geschrieben, Ross hat auch inszeniert. Als Kinogänger kann man sich das zunächst als eine Art Truman Show trifft Spartacus vorstellen - als nicht ganz neu, aber interessant abgewandelt.

Vor gut zehn Jahren blieb etwa der themenverwandte japanische Kinofilm Battle Royale mehr dem Genre des Teenie-Slashers verbunden und erlaubte sich außerdem einen recht sarkastischen Tonfall. Die Hunger Games hingegen sind stärker auf die dramatische Erzählung hinter den Spielen, aufs Empfinden, Erleben und die Entwicklung der Hauptfigur ausgerichtet. Schließlich geht es um eine Identifikationsfigur, an deren Schicksal man möglichst noch zwei Fortsetzungen lang Anteil nehmen soll. Auch ist die Heldin Katniss Everdeen, verkörpert von Newcomerin Jennifer Lawrence (Winter's Bone), keine gewöhnliche Kandidatin: Sie meldet sich freiwillig, um das Leben ihrer eigentlich ausgewählten jüngeren Schwester zu retten.

In der kurzen Spanne, die vor diesem Ereignis liegt, hat man Katniss bereits als starke, unabhängige Person, als naturkundig und versiert im Umgang mit Pfeil und Bogen kennengelernt. Nun begleitet man sie aus dem bitterarmen Hinterland, das aussieht wie direkt dem berühmten Walker-Evans-Foto-Zyklus aus der Depressionszeit des vorigen Jahrhunderts entnommen, in die retrofuturistische, dekadent wohlhabende Hauptstadt.

Dort lernt die Einzelgängerin schnell die Regeln des Spiels und der Massenunterhaltung. Schließlich geht es ins Grün jener Waldlandschaftssimulation, in der die 24 Jugendlichen aufeinander losgelassen werden - ein Spiel, in dem bisher meistens die Kandidaten aus den wohlhabenden Distrikten überlegen waren.

Das moralische Dilemma, dass die integere Heldin selbst zum Killer werden muss, um das Spiel lebend zu überstehen, wird mithilfe von Drehbuchideen kreativ umspielt (das gewährleistet außerdem eine niedrige Altersfreigabe). Trotzdem bleibt ein leichter schaler Beigeschmack. Einiges an diesem ersten Film dient merklich dem Aufbau von Handlung und Figuren, die sich wohl erst noch entfalten werden - siehe Donald Sutherland als standesbewusstes Staatsoberhaupt, Katniss' besten Freund Gale Hawthorne (Liam Hemsworth), der mit ihrer Abfahrt zu den Spielen ebenso zurückbleibt wie ihre Familie.

Interessant ist an der Verfilmung beispielsweise die Akzentuierung von Katniss' subjektiver Wahrnehmung, die oft über markante Ausblendungen auf der Tonebene läuft. Und das Ineinanderspiegeln von innerfilmischer Wirklichkeit und Produktionsrealität - etwa wenn schwarze Höllenhunde direkt vom CGI-Entwurftisch der TV-Kommandozentrale in den Spielparcours draußen integriert werden.

Dass der Spielverlauf - und somit auch die Erzählung - hergestellt wird und manipulierbar bleibt, bestimmten Interessen zu folgen hat, das ist eine Form von sanfter Medienkritik, die bei einem Blockbuster für jugendliche Medienkonsumenten nicht selbstverständlich ist. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 21.3.2012)