Das Rennen um die französische Präsidentschaft ist offen – auch wenn die Umfragen immer noch einen deutlichen Vorsprung für den sozialistischen Herausforderer François Hollande  vor Amtsinhaber Nicolas Sarkozy zeigen. Aber im ersten Durchgang hat Sarkozy die Chance, Hollandet zu überholen, und ein solcher Erfolg würde eine neue Dynamik für die Stichwahl schaffen.

Bei aller seiner Unpopularität bleibt Sarkozy ein hartnäckiger Kämpfer, der gerade in schwierigen Zeiten aufblüht.

 Wichtiger aber noch sind die Schwächen, die Hollande im Wahlkampf gezeigt hat. Er ist den meisten sympathischer als Sarkozy und sie vertrauen ihm mehr. Aber sein Wahlprogramm ist eine  Mischung aus unrealistischen oder selbstzerstörerischen linkspopulistischen Ansagen, die gerade Wählern in der Mitte, die an die wirtschaftliche Zukunft ihres Landes denken, abschrecken werden.

Da ist einmal die Forderung nach einem Steuersatz von 75 Prozent für Spitzenverdiener. Selbst sehr egalitär eingestellte Wähler müssen wissen, dass niemand freiwillig drei Viertel eines Verdienstes hergibt. Und die Superreichen, die davon betroffen wären, habe alle Möglichkeiten, einer solchen konfiskatorischen Steuer zu entgehen – und sei es durch Auswanderung.

Bis in die siebziger Jahre waren solche Steuersätze üblich – in den USA betrug der Spitzensteuersatz noch 1963 91 Prozent. Aber sie wurden in der Praxis von fast niemandem bezahlt. Dazu gab es genügend Schlupflöcher, die mithilfe von Steuerberatern und Anwälten ausgenützt wurden. Deshalb gilt seit Jahrzehnten in den meisten Ländern die Regel, dass der Spitzensteuersatz nicht viel über 50 Prozent liegen darf. Alles darüber hinaus führt nicht zu mehr, sondern zu weniger Steuereinnahmen.

Noch schlimmer ist Hollandes Vorhaben, Sarkozys Pensionsreform wieder rückgängig zu machen und das Mindestpensionsalter von 62 auf 60 zu senken. Selbst 62 ist angesichts der heutigen Lebenserwartung zu niedrig und langfristig nicht finanzierbar.

Und eine bereits mühsam beschlossene Anhebung wieder umzudrehen, ist ein Akt politischer Dummheit - und eine Zumutung an die jüngere Generation, die ohnehin schon schwer unter der hohen Jugendarbeitslosigkeit leiden.

Das haben eigentlich sonst nur die österreichischen Parteien in der parlamentarischen Wahnsinnsnacht im September 2008  zustande gebracht. Nur haben Faymann & Co. damals wahrscheinlich nicht gewusst, was sie tun. Das kann man bei Hollande nicht behaupten.

 Die Ankündigung, den Fiskalpakt neu zu verhandeln, mag angesichts der Schwächen dieser paneuropäischen Einigung ja inhaltlich berechtigt sein. Aber europapolitisch wäre das ein Wahnsinn, der die Eurozone destabilisieren und dadurch auch die französische Wirtschaft hart treffen würde.

Der Pakt ist beschlossen und muss in Kraft treten, wenn Europa irgendeine Glaubwürdigkeit bewahren will. Allfällige Fehler kann man dann bei der Umsetzung versuchen zu korrigieren.

All das macht Hollande zu einem wirtschaftspolitischen Geisterfahrer. Nicht, dass die EU nicht ein paar kreative Initiativen linker Prägung gebrauchen könnte. Aber diese müssten aus der Ecke moderater Sozialdemokraten kommen, wie etwa der deutsche Ex-Finanzminister Peer Steinbrück und mit Abstrichen sein Parteichef Sigmar Gabriel. Die französischen Sozialisten stehen mit ihren Vorstellungen nicht auf dem Boden der Realität.

Nun sind auch Sarkozys Wahlkampfansagen für einen liberalen pro-Europäer schwer zu schlucken. Seine Drohung, die Reisefreiheit im Schengenraum aufzukündigen, ist empörend, und sein Ruf nach einem europäischen Protektionismus bei öffentlichen Aufträgen ein Schuss ins eigene Knie.

Natürlich ist es schön, wenn staatliche Investitionen Arbeitsplätze zuhause schaffen. Aber wenn andere Staaten das Gleiche tun – und in den USA hört man ähnliche Forderungen –, dann zahlen europäische Unternehmen am meisten drauf.  Das Ergebnis wäre eine protektionistische Todesspirale, wie sie die Welt in den dreißiger Jahren erlebt hat.

Sarkozy fischt genauso im rechten Wählerlager wie Hollande im linken. Dennoch gibt es zwischen den beiden Kandidaten klare Unterschiede. Sarkozys Ansagen sind vage Drohungen und nicht konkrete Versprechen, die er nicht allein umsetzen kann. Der Mann ist flexibel – oder prinzipienlos – genug, dass man darauf setzen kann, dass er sie spätestens nach der Wiederwahl wieder vergessen hat.

Bei einem Wahlsieg Hollandes, dem wohl eine linke Mehrheit in der Nationalversammlung folgen würde, aber würde es dem frisch gewählten Präsidenten schwer fallen, sein Wahlprogramm wieder fallen zu lassen. Das würde ihm schon seine Partei nicht durchgehen lassen.

Außerdem wirkt Hollande geradliniger und weniger zynisch als Sarkozy. Das spricht zwar menschlich für ihn. Bei einem solchen Programm aber ist das ein gravierender Nachteil.

Wie nach dem Wahlsieg von François Mitterrand 1981 würde einem Machtwechsel im Élysée-Palast wohl eine Phase linker Wirtschaftsexperimente folgen, die erst dann zu Ende ginge würde, wenn die Folgen offensichtlich wären. Das kann sich die EU in ihrem jetzigen Zustand nicht leisten.  

So sehr man auch vom Menschen Sarkozy genug haben mag: Angesichts der Alternative muss man sich seine Wiederwahl wünschen. Und wenn genügend Franzosen dies ebenso empfinden – und davon gehe ich aus – dann wird Sarkozy die Wiederwahl knapp aber doch schaffen.