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Auch die marokkanische Frauenministerin Bassima Hakkaoui (PJD) fordert nach dem Suizid einer  16-Jährigen eine Gesetzesnovelle.

Foto: APA/EPA/Karim

Tanger/Granada - Der Freitod, den die 16-jährige Amina F. im nordmarokkanischen Larache vor mehr als einer Woche durch Rattengift wählte, schlägt Wellen weit über Marokkos Grenzen hinaus. Denn F. war zur Ehe mit ihrem um knapp zehn Jahre älteren Vergewaltiger M. (25) gezwungen worden.

Am vergangenen Wochenende kam es vor dem Gericht von Larache und in Rabat vor dem Parlament zu Kundgebungen von Frauenorganisationen, die Gesetzesänderungen forderten. Im Königreich Marokko können Vergewaltiger der Strafe entgehen, wenn sie ihr Opfer heiraten. Paragraf 475 des Strafgesetzbuches und Paragraf 20 des Familienrechts erlauben dies in Übereinkunft mit den betroffenen Familien.

Viele Fälle bleiben unbekannt

Vor allem in ländlichen Regionen Marokkos, wo die Alphabetisierungsrate noch immer niedrig ist, werde von den Tätern oft eine Ehe einer Strafe vorgezogen, beklagt Frauenrechtlerin Zahra Wardani. Nur höchst selten würden solche Fälle von Vergewaltigungen und daraus resultierenden Zwangsehen öffentlich bekannt.

F. und ihre Schwester reichten zwar Strafanzeige ein, doch zogen sie die Klage zurück, nachdem der Richter und die Familie von M. auf eine Schlichtung via Eheschließung setzten. F.s Vater beharrte zuletzt auch im staatlichen TV-Kanal M2, dass "seine Tochter zur Heirat gezwungen wurde". Er wünsche sich sehnlichst, dass der Vergewaltiger seiner Strafe nicht entgehen werde.

Auch Frauenministerin Bas-sima Hakkaoui, die einzige Frau im Kabinett der regierenden moderat-islamistischen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD), forderte eine dringende Reform der diesbezüglichen Gesetzgebung. Und auch Regierungssprecher Mustafa el Khalfi fand klare Worte zu der tragischen Causa: "Jene junge Frau wurde doppelt vergewaltigt. Erst sexuell und dann durch die Zwangsehe."

Doch Mustafa Ramíd, PJD-Justizminister, legte die offizielle, widersprüchliche, Version vor: Das Mädchen, noch 15-jährig, habe eine einvernehmliche, sexuelle Beziehung zu dem Mann unterhalten, wobei sie ihre Jungfräulichkeit verloren habe. Zum Selbstmord werden die Ermittlungen fortgesetzt, was die mutmaßliche Vergewaltigung betrifft, nicht. Die Regierung kündigte aber an, Strafen gegen Vergewaltiger zu verschärfen.

Aicha Chenna, Gründerin der Frauenrechtsorganisation Solidarité Féminine (SF), die eines der wenigen Frauenhäuser des Landes mit 40 Schlafplätzen in Casablanca betreibt, weiß nicht nur um dieses Problem, sondern auch um andere massive Benachteiligungen von Frauen - etwa die Diskriminierung alleinerziehender Mütter in Marokko.

Die in ihrer Obhut befindliche Amal gebar etwa als 23-Jährige ein uneheliches Kind. Seither sei sie die Schande der Familie und des ganzen Bezirks. Da jene Kinder ein Stigma für die Mütter seien, enden viele Schwangerschaften in lebensgefährlichen, illegalen Abtreibungen, aber auch oft in Selbstmorden, sagt sie.

Noch bis 2004 mussten alleinerziehende Mütter zudem ein "X" als Nachnamen ihres unehelich geborenen Kindes angeben. Mittlerweile dürfen sie zumindest fiktive Namen väterlicherseits zum eigenen und dem Schutz des Kindes wählen. (Jan Marot /DER STANDARD, 20.3.2012)