Mit der Wahl ihres Films "Spanien" zum Diagonale-Eröffnungsfilm geht für sie "ein Traum in Erfüllung": die österreichische Regisseurin Anja Salomonowitz.

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Wien/Graz - Glück ist in Anja Salomonowitz' Spielfilmdebüt Spanien nicht leicht zu haben. Rund um Sava, einen in Österreich gestrandeten Flüchtling (Grégoire Colin), und eine Handvoll weitere Figuren erstellt die Regisseurin ein Planspiel um Menschen, die sich aus ihren Lebenslagen kaum befreien können. Magdalena (Tatjana Alexander), die an dem Fremden Gefallen findet, wird von ihrem eifersüchtigen Exmann (Cornelius Obonya) gestalkt. Gabriel (Lukas Miko), ein dem Glücksspiel verfallener Familienvater, verstrickt sich in finanzielle Abhängigkeiten.Das Drehbuch ihres betont antinaturalistisch gehaltenen Films hat Salomonowitz gemeinsam mit dem Schriftsteller Dimitré Dinev geschrieben. Das erklärt wohl auch die zahlreichen allegorischen Motive der in monochrom bräunliche Farbtöne getauchten Gegenwelt von Spanien. Es ist eine Welt bedeutsamer, mitunter auch schwerfälliger Bilder von der Suche nach Transzendenz, die jedoch mit Mut zu filmischer Ausdrucksvielfalt inszeniert sind.

STANDARD: Ihre Dokumentarfilme waren stark inszeniert. Warum ist Ihr erster Spielfilm nun nicht dokumentarischer geworden?

Salomonowitz: Ich mache die Trennung Dokumentar- und Spielfilm eigentlich gar nicht. Für mich ist jeder Film ein eigener Kosmos. Meine Dokumentarfilme sind wie Spielfilme umgesetzt - auch beim Casting für den Spielfilm gab es anfangs die Überlegung, Leute zu nehmen, die tatsächlich das sind, was sie spielen. Ich habe es dann aber doch besser gefunden, Menschen zu nehmen, die sich stärker verwandeln können.

STANDARD: Die Schauspieler wirken unterschiedlich: Cornelius Obonya spielt expressiv, Grégoire Colin hingegen sehr zurückgenommen. War es Absicht, das zu betonen?

Salomonowitz: Für mich bestand die Herausforderung schon darin, sie wieder aneinander anzunähern - sie agieren ja im selben Film. Ich wollte die Figuren in der Realität verankern, alles sollte ausrecherchiert und stimmig sein; gleichzeitig sollte der Film aber etwas märchenhaft Überhöhtes haben - der Spieler, die Restauratorin, der Fremdenpolizist ... Colin habe ich mir schon beim Drehbuchschreiben vorgestellt, weil er so unmittelbar wirkt - etwas, das für mich Kino bedeutet.

STANDARD: Sie kannten ihn aus den Filmen von Claire Denis?

Salomonowitz: Ja, aber ich war mir nicht sicher, ob er nicht schon zu alt ist. Als ich Colin dann das erste Mal getroffen habe, fand ich lustig, dass es ihn tatsächlich in echt gibt. Im Film ist er wie ein Engel, - wir verständigten uns auch nonverbal. Er spricht kein Englisch, ich auch nicht.

STANDARD: Sie erwähnten die Überhöhung des Films: Das geht noch weiter als in den Dokumentarfilmen. Warum gibt es dieses Spiel mit religiösen Artefakten?

Salomonowitz: Es soll kein religiöser Film sein. Es geht darum, zu zeigen, dass die Menschen den Bezug zum Glauben verloren haben. Dimitré Dinev und ich hatten beim Drehbuchschreiben bereits vor, mehr in Bildern als mit Worten zu erzählen. Es sollte eine Übersetzung für die Idee geben, dass Menschen in der Welt keinen Halt mehr finden - und Religion bedeutet eben Halt. Wir haben in den Szenen stets das Gegenteil betont: Wenn Sava und Magdalena die Engel in der Kirche restaurieren, sind sie ja von der Bedeutung dieser Figuren getrennt. Das sind Holzengel, auf die sie klopfen.

STANDARD: Sie sind nur Material ...

Salomonowitz: Genau. Die Fußwaschung hat natürlich auch religiösen Hintergrund. Umgekehrt liegt jedem Liebesspiel irgendein Ritual zugrunde - und so war es hier gemeint. Ich habe auch eine persönliche Geschichte damit, denn als Kunstgeschichte-Studentin habe ich bei einer Einführungsprüfung dieses Motiv nicht erkannt - ich bin stark jüdisch sozialisiert. Ich durfte das Fach dann nicht studieren. Und als ich bei Ulrich Seidl bei Jesus, du weißt mitgearbeitet habe, hat er sich immer über meine Fragen amüsiert.

STANDARD: Dennoch wirken die Figuren, abgesehen von den Liebenden, sehr getrieben. Schränken Sie sie damit nicht ein?

Salomonowitz: Der Fremdenpolizist und der Spieler befinden sich im Wahn. Letzterer versucht das Schicksal zu bezwingen; der andere entwickelt sich von einer realen Figur in eine poetische - es geht ja um eine Eifersuchtsgeschichte, die auf etwas Politischem fußt. Er ist, ehrlich gesagt, meine Lieblingsfigur, er steckt sehr leidenschaftlich fest. Das reduziert einen eben.

STANDARD: Inszenatorisch setzen Sie große Gesten, zugleich ist der Film rigoros komponiert. Wollten Sie weg vom österreichischen Milieurealismus?

Salomonowitz: Film ist für mich ein sinnliches Medium, bei dem es darum geht, beim Besucher eine körperliche Reaktion auszulösen. Es geht darum, an ein Körpergedächtnis zu appellieren. Das habe ich mit allen Mitteln probiert - ich wollte einen richtig fleischlichen Film machen. Es gab eine sehr konkrete Vorgabe, wie die Bilder zu sein haben; doch obwohl die Bilder flach und einfärbig sind, die Szenen sich wie große Wolken aneinanderschieben, geht es auch um den Raum dazwischen: um das, was man nicht sehen kann, um das, was dazwischen passiert.

STANDARD: Sie meinen die Freiräume, welche die Geschichte lässt?

Salomonowitz: Ja, mir ging es darum, die Bilder zu zerschneiden, um etwas Transzendentes zu ermöglichen. Das passt zum Drehbuch, das sich auch zwischen Himmel und Erde bewegt. Wie der Wind, der durch den Film rauscht - der Ton war mir übrigens sehr wichtig. Insgesamt soll es mehr als die Summe der Teile sein: ein wenig so, wie wenn eine Fee mit dem Zauberstab "blink" macht, und dann kann etwas sprießen. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 20.3.2012)