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Bauen, bauen, bauen heißt es vor der Fußball-WM 2014 in Brasilien. Hier marschiert ein Arbeiter durch das Stadion Mané Garrincha, das nach der gleichnamigen Fußballer-Legende benannt ist.

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Im vorigen Jahrhundert kamen erst die verarmten Bauern und dann die Weltkriegsflüchtlinge aus Europa, um sich in Brasilien eine neue Existenz aufzubauen. Jetzt sind es gut ausgebildete junge Akademiker aus Portugal, Spanien, Frankreich, Großbritannien und den USA. Die Krise hält sie nicht mehr in der Heimat. Und die boomende brasilianische Volkswirtschaft sucht händeringend nach Fachkräften, die das eigene Bildungssystem nicht genügend hervorbringt. "Wir sind eine Insel des Wohlstandes, das ist für viele attraktiv", sagt Ricardo Paes stolz, Koordinator für Migrationsfragen im Ministerium für Strategische Angelegenheiten.

Manager, Architekten und Ingenieure stehen ganz oben auf der Liste der Headhunter. Aber auch junge Börsenmakler, Webdesigner und Wissenschafter zieht es in eines der am schnellsten wachsenden Schwellenländer der Erde. 80.000 Anfragen verzeichnete die brasilianische Filiale des Online-Arbeitsvermittlers Monster im vergangenen Jahr. Tendenz steigend. Sogar ausgewanderte Brasilianer zieht es wieder zurück in die Heimat, mehr als zwei Millionen Rückkehrer verzeichnen die Behörden seit 2005.

Sechstgrößte Volkswirtschaft

Brasilien ist bereits die sechstgrößte Volkswirtschaft weltweit. Um 4,4 Prozent wuchs die Wirtschaft im Schnitt seit 2004; mehr als 200 Milliarden US-Dollar Direktinvestitionen flossen ins Land; die Arbeitslosigkeit liegt bei fünf Prozent.

Und wegen der bevorstehenden Sport-Großereignisse gibt es noch eine Menge Arbeit. Für die Fußball-WM 2014 und die Olympischen Spiele 2016 muss Brasilien rasch seine veraltete Infrastruktur auf Trab bringen.

Seit 2010 hat die brasilianische Regierung jährlich 30 Prozent mehr Arbeitsgenehmigungen erteilt. 1,5 Millionen Ausländer waren voriges Jahr offiziell registriert. Nimmt man die illegalen Migranten hinzu, die meist aus den ärmeren Nachbarländern Bolivien, Peru und Paraguay stammen, sind es schätzungsweise zwei Millionen. Sogar aus Haiti flüchteten mehrere hundert Menschen nach dem Erdbeben 2010 in Richtung Brasilien. Auch die ungelernten Kräfte finden in der Regel Arbeit - als Bauarbeiter, Hausmädchen, Näherinnen und fliegende Händler.

Attraktiver Verdienst

Attraktiv sind nicht nur die Arbeitsplätze, sondern auch die Verdienstmöglichkeiten. 80 Prozent aller Weltkonzerne haben Filialen in Brasilien, und ein Expat kann in Brasilien unter Umständen mehr verdienen als in Paris und New York. Allerdings sind wegen des starken Real oft auch die Lebenshaltungskosten entsprechend hoch. Trotzdem lockt das gute Image, das Brasilien genießt: Strände, Sonne, Samba, freundliche Menschen. Die tropische Exotik überdeckt dabei oftmals die immensen Probleme, die das Schwellenland noch hat, etwa eine hohe Gewaltkriminalität, eine riesige soziale Kluft, Korruption und ein ineffizientes Bildungs- und Gesundheitssystem.

Die Qual beginnt für viele schon bei der Einreise. Eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen gleicht einem Hürdenlauf durch bürokratische Instanzen; die Gesetze stammen noch aus Zeiten der Militärdiktatur. Derzeit warten 400.000 bereits verpflichtete ausländische Fachkräfte auf die Arbeitsgenehmigung. Derart akut ist das Problem, dass Presseberichten zufolge so manche Erdölgesellschaft ihre Ingenieure mit Touristenvisum einfliegen lässt und direkt am Flughafen in einen Helikopter verfrachtet und auf eine Erdölplattform fliegen lässt, wo der "Tourist" dann die zulässigen drei Monate verbringt.

Es ist vor allem der schnelle Wandel, der die Behörden überfordert. Vor zehn Jahren noch war Brasilien ein Auswanderungsland, aus dem Hunderttausende auf der Suche nach Arbeit nach Portugal und in die USA flohen. Immerhin hat die Regierung das Problem erkannt, und Paes arbeitet gerade auf Anweisung der Präsidentin Dilma Rousseff an Neuregelungen, um den qualifizierten Interessenten den Aufenthalt zu erleichtern.

Ein Prozent Zuwanderer

Für alle anderen könnte es aber künftig schwieriger werden, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. "Wir sind an Technologietransfer interessiert. Wie großzügig wir der Welt helfen, die Armut und Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, müssen wir erst noch festlegen", sagt Paes. Brasilien ist mit seinen 195 Millionen Einwohnern und rund einem Prozent Einwanderer zwar noch weit entfernt von europäischen oder US-amerikanischen Verhältnissen, doch offenbar stößt es bereits an seine Grenzen in Sachen Solidarität und Gastfreundlichkeit. Diese Kosten-Nutzen-Rechnung sei nicht vereinbar mit den Menschenrechten, so der Jesuitische Flüchtlingsdienst für Lateinamerika und die Karibik. (Sandra Weiss aus Puebla, DER STANDARD, 19.3.2012)