Grenzenloser Wald-Dialog: Der bayrische Förster Georg Meister (auf dem Bildschirm) und ...

Foto: DER STANDARD/Hermann Wakolbinger

... der oberösterreichische Jäger Sepp Brand mayr fühlen sich via Skype verbunden.

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Standard: Herr Meister, Ihr Buch trägt den Titel "Tatort Wald". Welche Verbrechen orten Sie konkret im Grünen?

Meister: Es ist ein Tatort, weil der junge Wald nicht mehr natürlich aufwachsen kann. Was mit dem jungen Wald passiert, ist Waldtod. Die Täter sind einerseits die Förster, weil sie über viele Jahrzehnte zugelassen haben, dass diese Dinge beschönigt oder nicht bekannt werden. Und es sind andererseits die Jäger, die wegen einiger Kilo Horn an ihren Wänden nicht zulassen, dass ein naturnaher und stabiler Wald aufwachsen kann.

Brandmayr: Da muss ich Ihnen gleich einmal entschieden widersprechen. Wir Jäger wissen ganz genau, dass wir einen guten Waldbestand brauchen, und unser Grundsatz ist immer Wald vor Wild. Aber es muss Wild geben und es muss einen Wald geben. Ich bin selber Waldbesitzer und über 45 Jahre Jäger - ich kenne also beide Seiten und weiß, wovon ich rede. Wir haben die Situation sehr gut im Griff.

Meister: Bitte, ich habe auch in Oberösterreich Wälder besucht, in denen die Gesamtsituation erschreckend war. Da kann die Fichte aufwachsen, vielleicht die Buche. Aber Bäume wie die Tanne oder die Eiche, die heute in Zeiten des Klimawandels wichtig wären, die kommen über eine Größe von 50 Zentimeter überhaupt nicht hinaus. Wenn Jäger und Förster den Wald nicht gemeinsam umbauen, werden wir das teuer bezahlen.

Standard: Herr Brandmayr, haben es die Jäger tatsächlich oft nur auf üppige Trophäen abgesehen und lassen den Wald zu einem arten armen Holzacker verkommen?

Brandmayr: Diese Behauptung ist eine unglaubliche Frechheit. Einem echten Jäger liegt der Wald, die Natur am Herzen. Jäger bist du das ganze Jahr, nicht nur in der Jagdsaison. Da gehören tägliche Begehungen im Revier und Gespräche mit Bauern genauso dazu. Wir sind doch keine narrischen Bambi-Mörder.

Standard: Herr Meister, Sie sehen dennoch das Reh als Problemtier in den heimischen Wäldern. Braucht es mehr Abschüsse?

Meister: Man muss beim Reh einige Jahre zwei- bis dreimal mehr schießen. Wir haben auch in Bayern Betriebe, wo es funktioniert, aber die haben wesentlich mehr geschossen. Und dann geht der Abschuss wieder herunter auf ein Niveau von sieben, acht Stück pro 100 Hektar jedes Jahr. Und dann wächst auch der Wald. Mit den derzeitigen Größenordnungen kann man keinen zukunftsfähigen Wald aufbauen.

Standard: Sie kritisieren die schießwütigen Jäger, plädieren aber gleichzeitig dafür, dass mehr Rehe aufs Korn genommen werden. Widerspricht sich das nicht?

Meister: Überhaupt nicht. Durch den Überbesatz an Wild stirbt die natürliche Pflanzenvielfalt. Es braucht zuerst eine Regulierung, dann strenge Regeln zum Schutz des Jungwaldes.

Standard: Herr Brandmayr, wären für Sie deutlich mehr Abschüsse von Rehen vorstellbar?

Brandmayr: Das haben wir in den letzten Jahren gelebt und praktiziert. Wir haben eingegriffen in die Schalenwildbestände und haben die Abschüsse verdoppelt und mehr. Jetzt sind wir auf einem Stand der tragbar ist. Wie bereits gesagt: Wald vor Wild, aber nicht Wald ohne Wild. Und das Wild braucht sehr viel Ruhe. Wenn das Wild Ruhe hat, dann verbeißt es weniger. Aber es gehen immer mehr Menschen raus in die Natur, und das ist ein Grund, warum es zu Problemen mit Wildschäden kommen kann.

Standard: Der eine ist für weniger Rehe im Wald, der andere für weniger Menschen. Wer darf jetzt überhaupt noch in den Wald?

Brandmayr: Wir wollen, dass die Menschen in den Wald gehen, aber eine gewisse Lenkung wäre notwendig. Dass man nicht zu jeder Tages- oder Nachtzeit überall den Wald benützen kann. Das stört das Wild in seiner Ruhe. Wir brauchen so was wie eine Straßenverkehrsordnung für den Wald. Wir wollen niemanden verdrängen, nur ein bisschen Ordnung.

Meister: Die Schuld, dass viele Pflanzenarten nicht aufwachsen können, den Waldbesuchern zu geben, ist falsch. Der Mensch frisst nicht die Jungbäume weg.

Standard: Ist eine natürliche selbstständige Regulierung des Tierbestandes - aufgrund des Nahrungs- und Platzangebots - ohne Eingreifen des Menschen möglich?

Brandmayr: Wir leben heute nicht mehr in einer Natur- sondern in einer Kulturlandschaft. Der Mensch hat sich den Wald zunutze gemacht. Daher braucht es zur Regulierung auch Jäger und Förster, die den Waldbau ordentlich betreiben.

Meister: Ich bin dafür, dass der Jäger seine Aufgabe erfüllt. Unter der Prämisse, dass alles wachsen kann, was uns die Natur schenkt. (Stefanie Ruep/Markus Rohrhofer/DER STANDARD, Printausgabe, 17./18.3.2012)