Vösendorf - Gleich neben dem Diskonter Pagro XXL an der Triester Straße erblickt man durch die Schaufenster des Nachbargeschäfts 150 Fahrräder. Ein Rad glänzt besonders, ist prominent platziert, hebt sich von den anderen Geräten ab. "12.000 Euro", sagt Gernot Stoisser. Um diesen Preis ist das BMC Zeitfahrrad mit elektronischer Schaltung zu haben. "Ohne Extras." Bernhard Kohl mischt sich in das Gespräch ein. "Für ein Feintuning könnte man noch ein paar Tausend Euro drauflegen. Ein Rad über 15.000 Euro macht aber keinen Sinn mehr."
Der Ex-Radprofi führt mit Stoisser seit Februar 2009 den "Fitstore24 - Bikepalast Kohl" in Vösendorf bei Wien. Der Name Kohl zieht noch immer. 2008 wurde er nach Platz drei und dem Titel des Bergkönigs bei der Tour de France des Dopings überführt. Im März 2012 hat der Dopingsünder 12. 000 Kunden. Es gibt sie also doch, die zweite Chance. "Wenn Bernhard nicht im Laden ist, merken wir' es am Umsatz", sagt Stoisser. Und der beträgt mittlerweile vier Millionen Euro jährlich - netto.
Anders ausgedrückt: Kohl verkauft im Jahr mehr als 1000 Fahrräder. Von 2010 auf 2011 hat sich der Umsatz um fast ein Drittel gesteigert. Fahrräder boomen, im Sporthandel ist es die Branche, die am besten geht. 2011 wurden 470.000 Räder in Österreich verkauft, davon 30.211 Elektroräder. "Die Zuwachsraten bei E-Bikes sind gigantisch", sagte Ernst Aichinger, Obmann des Gremiums Sportartikelhandel in der Wirtschaftskammer, dem Standard. Drei von vier Haushalten in Österreich besitzen ein Rad. Und immer mehr Radwege - auch in den Städten - laden zum Biken ein.
Gerade hat Kohl wieder ein Rad verkauft. "Die Mutter hat für das erste Jugend-Bike ihres Sohnes 600 Euro ausgegeben." Kohls Kunden sind Amateursportler und Hobbyradler. "Profis bekommen ihr Material von Sponsoren gestellt." Die Kostenspanne bei City-Bikes, Rennrädern, Trekking-Rädern und Mountainbikes ist riesig. In den vergangenen Wochen wechselte ein Jugendrad um 250 Euro genauso den Besitzer wie ein Rennrad um 2000 und eine Zeitfahrmaschine um 12.000. "Im Hochpreissegment kommen die Leute wegen mir vorbei", sagt Kohl. Rennräder und spezielle Bikes für Triathlon und Ironman bringen den größten Reibach. "Die Kunden sind Gutverdiener, die ein neues Hobby entdeckt haben", sagt Kohl. "Viele sind auch Männer in der Midlife-Crisis."
Das warme Wetter und die hohen Spritpreise haben auch Spuren in Kohls Shop hinterlassen. Neben den präsentierten Rädern stehen im hinteren Bereich weit mehr als 50 Räder, die bereits verkauft sind. Im Lager selbst warten noch 400 Bikes in Kartons darauf, zusammengebaut zu werden.
"Die meisten Kunden wissen super Bescheid", sagt Stoisser. "Auch über den Preis, den haben sie im Internet recherchiert." Das gewünschte Fahrrad muss individuell passen, Kundengespräche drehen sich um Rahmengröße, Lenkerbreite, Vorbaulänge, Kurbellänge, Sattel, Schaltung, Bremsen, Geometrie. Auch Gewichtsreduktion ist ein Thema, Kohl hat Rennräder im Portfolio, die nicht mehr als 5,5 Kilo wiegen.
Auf seine Dopingvergangenheit wird er wenig angesprochen. "Es kommen keine Radler in den Laden und fragen, ob ich unter der Theke Dopingmittel verkaufe." Power-Müsliriegel vom Regal neben der Kassa müssen reichen. "Einer hat mal eine E-Mail geschrieben und gefragt, wo er besseres Zeug herbekommt." Doping im Breitensport, sagt Kohl, "ist aber ein viel größeres Problem, als sich die Sportverbände eingestehen wollen."
Erst vor einem Monat wurde er zu einem Doping-Vortrag eingeladen. Die Zuhörenden: Notärzte, die oft nicht wissen, dass Freizeitsportler mit Dopingmitteln hantiert haben - und ihr Sturz auf Doping-Missbrauch zurückzuführen ist. Auch in den Schulen hat Kohl referiert - bis ihm die Vorträge von der Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada) untersagt wurden. " Gedopte Sportler dürfen keine Präventionsarbeit leisten", sagt Kohl. " Ich bin ja noch bis 2014 gesperrt. Die Nada hat gedroht, mich sonst lebenslänglich zu sperren." (David Krutzler, DER STANDARD, 16.3.2012)