Karim El-Gawhary war auf Einladung des Presseclubs Concordia in Wien, um über "Qualität und Betroffenheit im Journalismus" zu sprechen.

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"Es gibt Situationen, wo Objektivität absurd ist", sagt Karim El-Gawhary. "Ich darf und will Meinung zeigen, unehrlich wäre es dann, wenn ich meine Meinung verstecke." Auch beim Fall der Berliner Mauer sei nicht objektiv informiert worden. Der Auslandskorrespondent berichtet etwa für den ORF, "Presse" und "taz" und betreibt seinen eigenen Blog Arabesken.

Für ihn geht es im Qualitätsjournalismus darum, Nähe herzustellen. Er will, dass sich Zuschauer oder Leser mit den Menschen identifizieren können, über die er berichtet. Dazu gehört auch, dass er seinen eigenen Standpunkt einfließen lässt: "Es wäre unehrlich zu behaupten, ich hätte keine Meinung." Der Sturz eines Diktators stoße natürlich auf seine Sympathie: "Objektivität ist ein unehrliches Konzept."

Über Nähe und "Heißluftballon-Perspektive"

Im Gespräch mit Daniela Kraus, Leiterin des "Forums Journalismus und Medien Wien" (fjum), erzählt El-Gawhary über seine Arbeit in Krisengebieten und über den Arabischen Frühling. Politische Berichterstattung will er neben Fakten auch über Geschichten von Menschen transportieren.

"Ich bin kein Märchenerzähler", sagt er, aber neben der "Heißluftballon-Perspektive" brauche es eben auch diese zusätzlichen Elemente der Nähe. Also sowohl die analytische, abstrakte Perspektive als auch den konkreten Fall, an dem die Reportage aufgehängt werde. "Das ist kein Entweder-oder." Gerade aus der arabischen Welt sei nie über Individuen berichtet worden: "Das war nur eine anonyme Masse. Ich möchte den Gesichtern Namen geben." Und: "Was ist ein Krieg, wenn ich nicht über die Menschen dort berichte?"

Indem man Leute vor den Vorhang hole, ließen sich politische und gesellschaftliche Hintergründe vermitteln, ist er überzeugt. "So erfährt man wirklich etwas." Etwas, das in Erinnerung bleibe, denn: "Wenn ich den Leuten 20 Fakten vor den Kopf knalle, merkt sich das keiner." Schon gar nicht in TV-Beiträgen, die nicht länger als ein oder zwei Minuten sein dürfen, so El-Gawhary. Die besten Geschichten seien jene, die zeigen, wie ähnlich und nicht wie anders die Menschen dort sind.

Vater für ORF interviewt

Gerade diese Nähe ist ein Vorwurf, mit dem der Journalist öfters konfrontiert wird. Für die "ZiB 24" hat er einmal seinen Vater interviewt. "Das verfolgt mich bis heute." Der Grund: Der ORF wollte einen Ägypten-Beitrag für die Spätnachrichten, in Kairo war bereits Ausgangssperre, deswegen musste der Vater als Protagonist herhalten. Mit dem Einverständnis des ORF. Das war eine Ausnahme, denn: "Normalerweise interviewe ich nicht meine Familienmitglieder."

Weiter erzählt er von einem Interview mit einem schwer verletzten 19-jährigen Mädchen, einer Scharfschützin von Gaddafi, die während des Gesprächs in Bengasi einen Nervenzusammenbruch erlitt. El-Gawhary: "Wie berichte ich darüber, ist sie Opfer oder Täter?" Als Mensch stoße man an seine journalistischen Grenzen.

Wie geht er mit solchen Situationen um? "Die beste Therapie für Journalisten ist das Weitererzählen", sagt er, "kann ich das nicht, wird es schwierig." Obwohl für ihn oft andere Bilder im Kopf bleiben würden, als er im TV herzeigen könne. Als Beispiel berichtet er von einem Krankenhaus in Tripolis: "Die Leichen sind seit einer Woche in der Sonne gelegen." Den Geruch bekomme man nie mehr aus der Nase, die Bilder nur schwer aus dem Kopf. Generell gelte: je später der Abend, desto mehr könne man im Fernsehen zeigen.

Journalismus als "Wanderzirkus"

Seinen Berufsstand kritisiert El-Gawhary. "Eines der größten Probleme der Medien ist, dass sie keine Prozesse mehr abdecken." Journalisten würden von einem Ereignis zum nächsten springen. "Wie ein Wanderzirkus, der weiterzieht." In "Nachrichten in Echtzeit" sieht er generell keinen Mehrwert. Sein Rat: "Tief durchatmen und sich Zeit lassen täte dem Journalismus gut." Es gehe darum, eine Einordnung zu liefern.

"Super-GAU" des "Echtzeitwahnsinns"

Als Beispiel führt er die Berichterstattung rund um die Anschläge von Oslo im vergangenen Jahr an. Das sei ein "Super-GAU" des "Echtzeitwahnsinns" gewesen, "es gab schon Sondersendungen, wo nicht einmal klar war, was eigentlich passiert ist". Terrorexperten hätten bereits über den "islamistischen Terror" philosophiert, kritisiert er. Freilich sei das auch eine Frage der Ressourcen, denn es müsse allen klar sein, dass gute journalistische Arbeit und Recherche Geld koste.

Auf Facebook hat Karim El-Gawhary über 13.000 Fans, auf Twitter folgen ihm rund 8.400 Menschen. Social Media sei für ihn mittlerweile ein wichtiger Bestandteil seiner Arbeit und biete ihm vor allem auch neue Möglichkeiten, mit seinen Lesern in Kontakt zu treten. Natürlich würde sich auch die tägliche Arbeit durch Social Media ändern. Facebook verwendet er als Instrument, um Diskussionen anzuleiern. "Das ist unglaublich fruchtbar." Twitter sei für ihn eine Art "Frühwarnsystem". Früher habe man über ein Ereignis durch eine Eilmeldung der Nachrichtenagenturen erfahren, jetzt werde man durch Tweets darauf aufmerksam gemacht, "mit dem kann keine Nachrichtenagentur konkurrieren". (Astrid Ebenführer/Oliver Mark, derStandard.at, 15.3.2012)