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Kristina Schröder und der Vorsitzende der unabhängigen Sachverständigenkommission zum Achten Familienbericht, Gregor Thuesing.

Weitere AutorInnen der Studie: Fabienne Becker-Stoll (Leiterin des Staatsinstituts für Frühpädagogik München), Hans-Peter Klös (Institut der deutschen Wirtschaft Köln), Andreas Kruse (Direktor des Instituts für Gerontologie Universität Heidelberg) , Joachim Möller (Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung Nürnberg), Jutta Rump (Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Fachhochschule Ludwigshafen), Helmut Schneider (Professor für Marketing und Dialogmarketing, Steinbeis-Hochschule Berlin) und Norbert Schneider (Geschäftsführender Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung Wiesbaden).

Foto: AP/Clemens Bilan

Familien fehlt es an vielem, aber vor allem an Zeit. Das hat der am Mittwoch in Berlin präsentierte achte Familienbericht einmal mehr gezeigt. Die Politik will diesem Bedürfnis nun stärker entgegenkommen, hieß es bei der Präsentation durch Bundesfamilienministerin Kristina Schröder.

Familienzeitpolitik

In Deutschland erscheint in jeder zweiten Wahlperiode seit 1968 ein Familienbericht. Bei dem nun vorliegenden handelt es sich um einen Spezialbericht: Er fordert für die Familienpolitik ein neues Politikfeld ein: die Familienzeitpolitik. Diese soll vereinfacht ausgedrückt dazu verhelfen, dass BürgerInnen neben der Erwerbsarbeit noch Zeit für Familienleben bleibt.

Doch dies ist schon lange keine Selbstverständlichkeit mehr. Eltern, vor allem Frauen, klagen über Doppel- und Dreifachbelastungen durch Familien- und Erwerbsarbeit. Mithilfe der Familienzeitpolitik soll nun die "materielle Sicherung von Familien, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Karriere und die gute Förderung von Kindern" unter einen Hut gebracht werden. 

Maßnahmen der Regierung

Bundesministerin Kristina Schröder kündigte bei der Präsentation des Berichtes an, die deutsche „Elternzeit" in Zukunft noch flexibler zu gestalten. Des Weiteren soll der bereits jetzt bestehende Anspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz bis August 2013 auf Kinder ab einem Jahr erweitert werden. Außerdem soll es für Großeltern leichter werden, in Großelternzeit zu gehen. Bereits jetzt seien in 51 Prozent der Familien die Großeltern der Eltern in die Erziehungsarbeit involviert, heißt es.

Widersprüchliche Forderungen im Bericht

Dem Bedürfnis, dass Familien mehr Zeit brauchen, will der Bericht in seinen Empfehlungen aber nur bedingt nachkommen. So schlägt er etwa vor, die Elternzeit von derzeit drei Jahren auf maximal zwei Jahren zu beschränken. Damit sollen die langen Erwerbsausfälle von Frauen minimiert werden. Das Problem der Vereinbarkeit von Beruf und Familie wäre mit einer Verkürzung der Elternzeit aber nicht gelöst, monieren ElternvertreterInnen. Auch Schröder winkte ab und betonte, dass eine Verkürzung der Elternzeit derzeit nicht in Frage käme, auch weil noch nicht genug Kinderbetreuungseinrichtungen zur Verfügung stehen würden.

Stillstand bei den Unternehmen

Konkrete Maßnahmen, wie die Unternehmen flexibler auf die Bedürfnisse von ArbeitnehmerInnen mit Familien eingehen könnten, wurden in dem Bericht kaum thematisiert. Die SPD-Sozialministerin von Meklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesinger, kritisierte in der ARD-Tagesschau, dass nach der Anpassung der Familien an die Arbeitsbedürfnisse nun endlich Bewegung bei den Unternehmen entstehen müsse.

Auch die Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen kritisierte: "Es darf nicht sein, dass es immer Familien sind, die sich auf die Zeiterfordernisse von Unternehmen, Kita, Öffnungszeiten, usw. einstellen müssen", so Bettina Müller-Sidibé in einer Stellungnahme. Der Bericht würde konkrete Vorschläge an die Unternehmer-Seite vermissen lassen.

"Ressource Zeit"

Immerhin: Die Regierung will das Problem der fehlenden Zeit ernst nehmen und verwandelt sie zugleich in eine Ressource. "Die Bundesregierung will den Zeitwohlstand und die Zeitsouveränität von Familien erhöhen und dazu beitragen, die Zeittaktungen der Institutionen besser zu synchronisieren," heißt es in der Stellungnahme. Das klingt doch angenehm geschmeidig und weniger nach realen Interessenskonflikten zwischen Familien und Unternehmen.

Auch an anderer Stelle wird im Bericht alter Wein in neuen Schläuchen gereicht: "Eine moderne Familienpolitik muss es Familien ermöglichen, über ihren Zeitgebrauch souverän zu entscheiden." Die alte Leier "Wahlfreiheit" mal schnell in "Zeitsouveränität" umformuliert? Das wird das existentielle Problem der Work-Life-Balance sicher nicht lösen. Genauso wenig, wenn durchwegs von "Familien" die Rede ist, wo eigentlich die Zeitnöte von Müttern benannt werden sollten. (red, dieStandard.at, 14.3.2012)