Bild nicht mehr verfügbar.

Eine letzte Fuhr Dokumente kurz vor der letzten Sitzung des Volkskongress.

Foto: Ng Han Guan/AP/dapd

Peking - Regimekritiker können in China künftig sechs Monate lang an einem unbekannten Ort festgehalten werden. Zum Abschluss seiner Jahrestagung in Peking billigte der Volkskongress am Mittwoch ein umstrittenes neues Strafverfahrensrecht, das Sicherheitsorganen weitreichende Vollmachten für Festnahmen und Hausarrest gewährt. Das Gesetz wird auch in China kontrovers diskutiert und stieß auf heftige Kritik von internationalen Menschenrechtsgruppen.

Die knapp 3000 Delegierten nahmen auch den Rechenschaftsbericht von Regierungschef Wen Jiabao an. Wegen der globalen Wirtschaftskrise wurde die Wachstumsprognose mit 7,5 Prozent auf den niedrigsten Stand seit acht Jahren reduziert. Im vergangenen Jahr hatte die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt noch 9,2 Prozent Wachstum erreicht und damit die Weltkonjunktur angetrieben.

Zustimmung vergleichsweise zurückhaltend

In diesem Jahr war die Zustimmung für den Rechenschaftsbericht von Wen Jiabao aber deutlich niedriger als im Vorjahr. 2725 Delegierte stimmten dafür. Doch lag die Zahl der Gegenstimmen mit 90 fast doppelt so hoch wie im Vorjahr. Auch enthielten sich mit 49 Delegierten erkennbar mehr. Ohne größere Debatte nahmen die Delegierten ferner das kontroverse Strafverfahrensrecht an. 2639 stimmten dafür, 160 dagegen. 57 enthielten sich.

Das nicht frei gewählte Parlament hat bisher noch jede Vorlage angenommen, doch war auffällig, dass die Zustimmung für das Strafverfahrensrecht vergleichsweise zurückhaltend war. Im chinesischen Internet war kritisiert worden, dass es nur kurzfristig vorgelegt worden war. Die Zensur unterband aber die Online-Debatte und strich kritische Beiträge in Mikroblogs.

Scharfe Kritik von NGOs

Rechtsexperten und internationalen Menschenrechtsgruppen haben das Gesetz scharf kritisiert. Bei vage definierten politischen Verdächtigungen wie "Gefährdung der Staatssicherheit" oder "Terrorismus" sowie bei "größeren Bestechungsfälle" erlaubt das Gesetz "häusliche Überwachung" an einem unbestimmten Ort, wenn es für ungehinderte Ermittlung nötig erscheint. Dem Verdächtigten kann jeder Zugang zu einem Anwalt verweigert werden. Angehörige müssen zwar unterrichtet werden, aber nicht den Aufenthaltsort kennen.

"Solche Vorkehrungen sind eine große Gefahr für Kritiker der Regierung und Menschenrechtsaktivisten", sagte Sophie Richardson, China-Direktorin der Organisation Human Rights Watch. "Es ist auch ein klarer Verstoß gegen Chinas internationale Verpflichtungen." Haft an unbekannten Orten berge "eine große Gefahr von Folter und Misshandlungen". Mehrere Bürgerrechtsanwälte, die vergangenes Jahr unter Hausarrest gehalten wurden, hätten von Folter berichtet.

"Häusliche Überwachung" legitimiert

In den vergangenen Jahren waren wiederholt Kritiker, darunter der berühmte Künstler Ai Weiwei, der Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo oder der Bürgerrechtsanwalt Gao Zhisheng, unter "häuslicher Überwachung" gehalten worden. Solcher Freiheitsentzug wird jetzt legitimiert. Der Vorwurf der Bedrohung der nationalen Sicherheit und speziell der "Untergrabung der Staatsgewalt" wird immer wieder gegen friedliche demokratische Aktivisten erhoben.

Ähnliches gilt für Angehörige von Minderheiten wie Tibeter oder Uiguren, die auch leicht dem Terrorismus- und Separatismusverdacht ausgesetzt sind, wenn sie sich gegen Chinas Regierung wenden oder größere politische, kulturelle oder religiöse Freiräume einfordern.

Zum Abschluss der zehntägigen Sitzung billigten die Abgeordneten auch den Staatshaushalt und einen Anstieg der Militärausgaben um 11,2 Prozent. Die Verteidigungsausgaben steigen auf 670 Milliarden Yuan (heute 80 Milliarden Euro). Nach Einschätzung des Stockholmer Friedensforschungsinstituts (Sipri) dürften die tatsächlichen Militärausgaben gut 50 Prozent höher sein, weil Forschungs- und Entwicklungsausgaben sowie die paramilitärische Bewaffnete Polizei (Wujing) von anderen Haushaltsposten abgedeckt werden.

Wen Jiabao: Reformen ja, Wahlen nein

Chinas Regierungschef Wen Jiabao befürwortete am Mittwoch politische Strukturreformen innerhalb von Partei und Regierung. Einer Frage, wann die Chinesen ihre Führer endlich frei wählen könnten, wich der Regierungschef auf einer Pressekonferenz zum Abschluss der Jahrestagung des Volkskongresses am Mittwoch in Peking allerdings aus. Er wiederholte nur seine Standardantwort, dass in Dörfern bereits die Verwaltungskomitees und Vorsteher gewählt werden, die neben den Parteichefs der Dörfer die Verantwortung tragen.

Wenn die Menschen in den Dörfern erfolgreich ihre Geschicke lenkten, könnten sie es schrittweise auch auf Gemeinde- oder Kreisebene tun, bekräftigte Wen Jiabao nur seine alte Position, die er in seiner neunjährigen Amtszeit immer wieder auf entsprechende Fragen vorgetragen hat. Die Entwicklung der "sozialistischen Demokratie" müsse schrittweise und in Übereinstimmung mit den nationalen Bedingungen voranschreiten, fuhr er fort.

Wen Jiabao plädierte dafür, parallel zu den wirtschaftlichen auch politische Reformen "insbesondere in der Partei und dem Führungssystem des Staates" voranzutreiben. Mit der Entwicklung der Wirtschaft gebe es Probleme wie ungerechte Verteilung, einen Verlust der Glaubwürdigkeit und Korruption. Die Reformen in der Partei steckten in einer kritischen Phase. "Jedes Parteimitglied und jeder Funktionär muss ein Gefühl der Dringlichkeit empfinden." (APA, 14.3.2012)