Straßburg - Der Europarat hat sich alarmiert über die Zustände in ukrainischen Polizeiwachen und Gefängnissen geäußert. Folter während polizeilicher Verhöre, etwa mit Elektroschocks, sei keine Seltenheit, stellte das Anti-Folter-Komitee der paneuropäischen Länderorganisation am Montag fest. Zugleich äußerten sich die Experten, darunter ein Arzt, besorgt über den Gesundheitszustand der inhaftierten ehemaligen Regierungschefin Julia Timoschenko.

Eine Delegation des Anti-Folter-Komitees hatte im vergangenen Dezember mehr als eine Woche lang Polizeikommissariate und zwei Gefängnisse in der Ukraine inspiziert. In der Haftanstalt von Kiew waren die Experten des Europarats auch mit Timoschenko und zwei anderen politischen Gefangenen zusammengetroffen, den früheren Ministern für Inneres und Justiz, Juri Luzenko und Valery Iwaschenko. Ihre ärztliche Versorgung im Gefängnis sei unzureichend, heißt es in der Stellungnahme des Komitees. Vor allem Timoschenko müsse dringend in einem Spezialkrankenhaus behandelt werden.

Ähnlich hatten sich vor kurzen bereits zwei Ärzte der Berliner Charite und drei kanadische Mediziner geäußert, die Timoschenko Mitte Februar im Gefängnis untersucht hatten. Die 51-Jährige, die unter starken Rückenschmerzen leidet, sitzt seit August im Gefängnis und wurde im Oktober wegen Machtmissbrauchs zu sieben Jahren Haft verurteilt.

Das Anti-Folter-Komitee übte zugleich massive Kritik an den Haftbedingungen in den Gefängnissen von Kiew und Charkiw. Beide Anstalten seien hoffnungslos überfüllt, die hygienischen Zustände verheerend. In Charkiw fand die Delegation 44 Häftlinge in einer 45 Quadratmeter großen Zelle vor. Sie hätten sich abwechselnd 28 Matratzen geteilt, berichteten die Experten. Zeitweise seien sogar noch mehr Häftlinge in dieser Zelle eingepfercht gewesen.

Außerdem entdeckte die Delegation in diesem Gefängnis eine nur 80 Quadratzentimeter große Box ohne Fenster, in die Häftlinge zu Strafe gesteckt wurden. In beiden Gefängnissen seien Häftlinge, die zu Verhören gebracht wurden, mit Spuren von Misshandlungen zurückgekehrt, stellte das Komitee ferner fest.

Der Europarat forderte die ukrainischen Behörden auf, zumindest besonders massive Menschenrechtsverletzungen unverzüglich zu beenden. Einen ausführlichen Bericht über die Visite soll die Regierung in Kiew Mitte März erhalten. Dieser Bericht darf lauf Anti-Folter-Abkommen aber erst veröffentlicht werden, wenn die Ukraine dem zugestimmt hat.

Vertreter des Anti-Folter-Komitees - Strafvollzugsexperten, Juristen und Ärzte - besuchen in regelmäßigen Abständen Gefängnisse und andere Orte, an denen Menschen gegen ihren Willen festgehalten werden. Das Gremium hat die Aufgabe, die Einhaltung des Anti-Folter-Abkommens durch die 47 Europaratsländer zu überwachen. (APA, 12.3.2012)