Jahrhundertelang war das heutige Bratislava (Pressburg) als Pozsony Hauptstadt Ungarns. Neunzehn Habsburgerinnen und Habsburger wurden im Martinsdom zu ungarischen Monarchen gekrönt, unter ihnen Maria Theresia. Der (in jüngster Zeit wieder entschärfte) Konflikt um die ungarische Minderheit in der Slowakei ist auch ein Erbe der Magyarisierungspolitik während der ungarischen Herrschaft in der Slowakei.

Bei den slowakischen Parlamentswahlen am Samstag hat der bisherige Oppositionsführer und ehemalige Premier Robert Fico einen Sieg eingefahren, der noch höher ausfiel als erwartet. Fico kann mit einer absoluten Mandatsmehrheit seiner sozialdemokratischen ausgerichteten Partei Smer (Richtung) regieren. Damit ist seine Macht annähernd so groß wie jene seines ungarischen Amtskollegen Viktor Orbán. Zwar hat Fico, anders als Orbán, die für Verfassungsänderungen nötige Mehrheit verfehlt. Angesichts der atomisierten künftigen Opposition könnte er aber fast nach Belieben schalten und walten.

Der Vergleich zwischen den starken Männern in Bratislava und Budapest ist höchst aufschlussreich. Auch Fico startete mit stark nationalistischen Tönen als Populist, der das politische Establishment vor sich hertreiben wollte. In seiner ersten Amtszeit als Premier 2006-2010 regierte er in einer umstrittenen Koalition mit den Nationalisten und der Partei des einstigen Autokraten Vladímir Meciar. Unabhängige Medien betrachtete er, ähnlich wie Orbán, als potenzielle Feinde.

Fico wurde 2010 von einer Mitte-rechts-Koalition abgelöst. Diese freilich scheiterte schon nach eineinhalb Jahren an ihren inneren Widersprüchen. Die Beteiligung der Slowakei am Eurorettungsschirm erhielt nur dank der Stimmen von Ficos Smer eine Parlamentsmehrheit. Der Preis waren vorzeitige Neuwahlen.Im Unterschied zu Orbán hat Fico nach seiner Abwahl einer neuerlichen nationalistischen Versuchung widerstanden. Als Premier hatte er noch im letzten Moment ein Gesetz durchgedrückt, das Slowaken, die eine andere Staatsbürgerschaft annehmen, die slowakische automatisch entzieht. Auch wenn andere Länder wie Österreich eine ähnliche Regelung haben: Es war eine Revanche für das ungarische Gesetz, wonach im Ausland lebende ethnische Magyaren die ungarische Staatsbürgerschaft erhalten, wenn sie dies wollen.

Inzwischen dominieren in Budapest und Bratislava andere Probleme. Während sich Orbán mit seiner Macht- und Wirtschaftspolitik auf einen Konflikt mit der EU eingelassen hat, hielt Fico klar proeuropäischen Kurs - obwohl die Griechenland-Hilfe bei seinen Landsleuten alles andere als populär ist. Dieses Thema spielte im Wahlkampf freilich fast keine Rolle mehr. Der offenbar gigantische Korruptionskandal, das durch Abhöraktionen aufgedeckte dubiose Beziehungsgeflecht zwischen Politik und Wirtschaft, überschattete alles andere - und hat Fico nicht geschadet, obwohl auch seine Rolle (als damaliger Premier) sehr aufklärungsbedürftig ist.

Ein Pressburger Politologe fand in der Wahlnacht eine treffende Formulierung: Fico habe den in diesem Ausmaß unerwarteten Sieg "erlitten". The winner takes it all - das heißt in diesem Fall die ganze Verantwortung. Die ist umso größer, als es bis auf weiteres keine ernstzunehmende Opposition gibt. Der einstige Populist muss endgültig beweisen, dass er die Wende zum Staatsmann vollzogen hat. (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 12.3.2012)