Flo Orley bei seinem, nun ja, "Sicherheitslauf".

Foto: Freeride World Tour, Fieberbrunn Flo Orley

Fieberbrunn - Die Zuschauer haben gemütlich am Lärchfilzkogel auf einer eigens errichteten Tribüne aus Schnee Platz genommen. Musik (keine Apres-Ski-Hadern!) wummt aus den Boxen. Ferngläser und Sonnenbrillen werden ausgepackt, alle Blicke richten sich auf den tief verschneiten Gegenhang. Oben am Gipfel steht Flo Orley. Statt Musik hört der Snowboarder nur seine eigenen Pulsschläge. Die hämmern aber bis hinauf in seinen Helm.

"Ich bin da oben gestanden, die steile Wand aus Schnee, Eis und Felsen direkt vor mir", erzählt der 36-jährige Innsbrucker. "Ich hatte meine Linie im Kopf, wollte direkt auf die Felsvorsprünge zusteuern, drüberspringen. Und dann ging es nicht. Das passiert mir sonst nie. Ich hab mich in diesem Moment für die Sicherheitsvariante entschieden. Plan B, 90 Prozent."

Staunen

Zum zweiten Mal gastierte am Samstag die Freeride World Tour in Fieberbrunn. In seltener Einigkeit geben sich hier Skifahrer und Boarder gemeinsam die wahnwitzigsten Tiefschnee-Hänge. Beim einzigen Tourstopp in Österreich geht es das Wildseeloder hinunter. Zwei Tore sind zu passieren: Das eine steht am Gipfel auf 2118 Metern Höhe, das zweite 618 Höhenmeter weiter unten. Der Rest ist bis zu 70 Grad steile Spielwiese für die besten Freerider der Welt. Die Mutigsten jagen über zehn Meter hohe Klippen, die allermutigsten verbinden die Sprünge mit Rückwärtssalto und Drehungen. Die Zuschauer am Gegenhang können nur eines tun: staunen.

Für die Freerider hat der Tag in Tirol schon um fünf Uhr morgens begonnen. Um sechs ging es mit Gondeln und Seilbahnen so hoch wie möglich hinauf. Der finale Gipfelsturm folgt zu Fuß, in 45 Minuten haben es die Rider geschafft. Unten sind sie in gut zwei, drei Minuten. Wobei Zeit nicht das Kriterium ist, wonach die Juroren richten. Es geht um Stil, eine flüssige Fahrt, egal ob Felsen im Weg stehen oder nicht. Es geht um eine originelle, spektakuläre Linie. Vor allem aber geht es um Sicherheit. "Wer allein in Gefahr gerät, die Kontrolle seines Gerätes zu verlieren, wer mehr Risiko nimmt als nötig ist, bekommt Punkte abgezogen" , sagt David Carlier von der Freeride World Tour. Die Drohung zeigt bei den Fahrern nur bedingt Wirkung, aber auch die wildsten Stürze und Überschläge verlaufen glimpflich.

22 Bergretter, drei Ärzte

Sicherheit steht auch am Berg an erster Stelle. Die Freerider fahren zumindest mit Lawinen-Airbag, Rückenprotektor, Lawinen-Pieps und Schaufel. Dazu sind im Fall des Falles 22 Bergretter vor Ort, drei Ärzte und ein Hubschrauber. "Unser Event ist nicht gefährlicher als eine Weltcup-Abfahrt", sagt Berni Pletzenauer, der Chef des Organisationskomitees. Um die Lawinengefahr abschätzen zu können, wird der Wildseeloder den ganzen Winter über beobachtet, es werden Bilder gemacht, Schneeprofile erstellt.

Vor sieben Jahren hat Pletzenauer mit Freunden aus Fieberbrunn den ersten Big Mountain Contest veranstaltet. "Da sind damals Jugendliche aus dem Bezirk mitgefahren." Mittlerweile ist das Budget der jährlichen Veranstaltung mit allen Rahmen-Events auf 450.000 Euro gewachsen, die World Tour steuert 50 Prozent bei. Das Kernteam aber ist dasselbe geblieben. Ein Kumpel ist Anwalt, der sich um rechtliche Angelegenheiten kümmert. Dazu kommen ein Elektriker, ein Tischler, ein Bergführer, ein Moderator und ein Gastronom - sowie 80 weitere freiwillige Helfer.

Vielleicht wieder hinauf

Sie wurden am Samstag mit traumhaftem Wetter belohnt. 4000 Fans verfolgten die World-Tour-Premierensiege der Salzburgerin Eva Walkner (Ski) und der steirischen Snowboarderin Liz Kristoferitsch. Bei den Herren gewann der US-Amerikaner Drew Tabke, Flo Orley musste sich bei den Boardern nur dem Franzosen Jonathan Charlet geschlagen geben. Der nicht minder spektakuläre "Sicherheitslauf" Orleys, der gerne auch Drachenfliegen und Basejumpen geht, wurde belohnt. ORF1 zeigt am Samstag (8.15 Uhr) eine Zusammenfassung.

"Vielleicht", sagte Orley nach dem Rennen, Freundin Nina und den knapp einjährigen Sohn Keano im Arm, "vielleicht gehe ich diesen Winter nochmal hinauf aufs Wildseeloder." Die direkte Hochrisiko-Linie über die Felsen, die er diesmal nicht genommen hat, lässt ihn nicht in Ruhe. (David Krutzler, DER STANDARD, 11.3.2012)