Hohe Spesen für ein höheres Wesen: Vor allem geschiedene Katholiken ärgern sich.


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30.691 Klagen gab es im Jahr 2010: "Leute, die nicht zahlen wollen, sind unsere Problemgruppe."

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Schönborn: Offen für Verbesserungen, aber keine Initiative zur Abschaffung des Kirchenbeitrags.

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Appel: "Die Behördenmentalität ist grotesk und gegen das Wesen der Kirche. Die Kirchensteuer gehört weg."

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Wien - Selbst treue Katholiken fühlen sich von ihrer Kirche bisweilen hart geprüft. "Für die Kirche bin ich ein Sünder", sagt Berndt Grünanger. "Ich laufe mit dem Stempel des Geschiedenen umher", beklagt sich der 52-jährige Selbstständige aus Kärnten. Weil er sich einst von seiner Frau wegen unterschiedlicher Kinderpläne getrennt hatte und später eine andere heiratete, ist er von den Sakramenten ausgeschlossen und darf weder Tauf- noch Firmpate sein. Er merke bloß einmal im Jahr, dass er Mitglied der Kirche ist: beim Einzahlen der Kirchensteuer.

Die katholische Kirche zählt in Österreich noch rund 5,4 Millionen Mitglieder, in Wien sind es 933.000. Laut Erzdiözese Wien spülen die Kirchenbeiträge in der Hauptstadt rund 90 Millionen Euro in die Klingelbeutel. Ergibt pro Gläubigen wenig mehr als 100 Euro.

Trotz dieser relativ kleinen Summe kommen Klagen und Exekutionen immer wieder vor. Im Jahr 2010 reichte die Kirche österreichweit 30.691 Klagen gegen ihre Schäfchen ein. Streitwert: 8,67 Millionen Euro. 12.130 Exekutionsfälle verzeichnete die Kirche im selben Jahr, bei diesen gerichtlichen Pfändungen ging es nicht nur um Kirchenbeiträge, sondern zum Beispiel auch um Miet- und Pachtzinsen. (Für 2011 liegen noch keine Zahlen vor.)

Ärger bei Geschiedenen

"Das ist wie ein Theaterabo, ohne jemals hinzugehen", fragt sich Grünanger, wozu er bezahlt. Er ist immer noch Katholik. Harald Kuhm*, Orthopäde aus Niederösterreich, ging 2002 einen Schritt weiter: Er trat aus der Kirche aus. Wegen der Kirchensteuer. Nach seiner teuren Scheidung sandte ihm die Kirchenbeitragsstelle einfach weiterhin eine gemeinsame und entsprechend hohe Rechnung zu - für ihn und seine Ex-Frau. Kuhm: "Nach der Scheidung war ich eh schon sauer, und dann soll ich noch doppelt fürs Sakrament bezahlen, von dem sie mich ausgeschlossen haben? Du darfst dort einzahlen, bis du tot umfällst, aber sonst nichts."

Dass man auch noch nach der Scheidung aufs gemeinsame Beitragskonto einzahlen soll, könne nur dann passieren, wenn die Kirche nichts von der Scheidung gewusst habe, erklärt sich Maria Puecker von der Wiener Kirchenbeitragsstelle den Fall.

Dass besonders wiederverheiratete Geschiedene sich von der Kirche gekränkt fühlen, sei auch aus seiner Sicht "verständlich", sagt Michael Prüller, Sprecher der Erzdiözese Wien. Doch der Kirchenbeitrag sei in einem größeren Zusammenhang zu sehen: "Die Kirche ist kein Verein, den man für bestimmte Dienstleistungen oder für ein Service bezahlt, sondern eine geistliche Heimat. Wir wollen natürlich, dass auch wiederverheiratete Geschiedene Zuspruch erfahren." Diese seien "nicht Christen zweiter Klasse", sagt Prüller.

Kirchenbeitrag häufiger Austrittsgrund

So fühlte sich aber Franz Wanek nach seiner Scheidung: "Nur bei der Kirchensteuer haben sie meine zweite Frau akzeptiert." Sein Austritt liegt zwar schon 20 Jahre zurück, doch bis heute ärgert er sich über das Familienbild der "doppelzüngigen" Kirche: Obwohl er seine heutige Gattin ja nur standesamtlich, nicht kirchlich heiraten durfte, flatterte ihm ein Zahlschein ins Haus, der ihm die gemeinsame Kirchensteuer für ihn und seine - laut Kirche eigentlich nicht existente - Frau vorschrieb. "Ich hab denen die Kirchensteuer von damals knapp 5.000 Schilling hingelegt und bin ausgetreten", erzählt der Wiener Pensionist.

Auch der Kärntner Grünanger wollte die Kirche einmal seine Wut spüren lassen - jahrelang bezahlte er den Kirchenbeitrag nicht. Dann kam die Klage, die Diözese Gurk-Klagenfurt war zum Bezirksgericht gegangen. "Da bist du der Zweite", sagt Grünanger. "Gegen die hast du keine Chance, das ist wie bei der Sozialversicherung." Unter der Drohung, sein Gehalt werde exekutiert, zahlte er schließlich doch.

Rechtsweg nicht ausgeschlossen

Ein eher untypischer Fall ist Christoph Baumgarten. Der überzeugte Atheist ließ es nach seinem Austritt auf eine Klage ankommen und wartete so lange zu, bis die Kirche sein Gehalt "beinhart pfändete", sagt der 33-jährige Wiener. Mindestens zehn Schreiben und mehrere Anrufe der Kirchenbeitragsstelle ignorierte Baumgarten, bis die Kirche ihm dann 474 Euro - drei Jahresbeiträge plus Gerichtskosten - abknöpfte.

Der Christ als Kunde

In der Kirchenbeitragsstelle der Erzdiözese Wien beteuert man, den Mitgliedern weit entgegenzukommen. 933.000 Beitragszahlern in Wien stünden lediglich 1.800 Klagen gegenüber, sagt Josef Weiss, Leiter der Kirchenbeitragsstelle. Das sind 0,2 Prozent. Heute beschäftigt die Erzdiözese auch eine mobile Truppe, die säumige Zahler bei Besuchsterminen nach den Gründen fragt. "Bei Mitgliedern, die nicht zahlen können, finden wir immer eine Lösung. Bei jenen, die nicht zahlen wollen, gibt es aber Probleme. Es ist nicht fair, Mitglied sein zu wollen, aber nicht bezahlen zu wollen", sagt Weiss. Das sei wie bei einem Handyvertrag oder Zeitungsabo, wobei sein Team sich um eine optimale "Kundenbeziehung" bemühe.

Die 30.691 Klagen der Kirche im Jahr 2010 bedeuteten eine Steigerung um 12,7 Prozent zu 2009. Aber: Übers Jahrzehnt gerechnet gingen die Klagen der österreichischen Diözesen deutlich zurück. Trotzdem rät Kurt Appel, Professor an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, generell davon ab, die Kirche wie eine Behörde oder ein Unternehmen zu führen: "Die Kirche sollte sich nicht staatlicher Gewaltmittel wie Zwangsexekutionen bedienen." Der Theologe sieht in der Kirchensteuer - pikanterweise in der Nazi-Zeit eingeführt und später nie abgeschafft - einen doppelten Konstruktionsfehler: "Diese Behördenmentalität widerspricht dem Wesen der Kirche. Außerdem ist der Hass auf die Kirche in keinem Land so ausgeprägt wie hier, das hängt auch mit der Kirchensteuer zusammen."

Erzdiözese: Arbeit der Kirche kostet Geld

Kurz vor Weihnachten sprach Kardinal Christoph Schönborn vom Umbruch "von einer Volkskirche hin zu einer Entscheidungskirche überzeugter Christen". Heute, da viele Österreicher kaum mehr etwas mit ihrer Pfarre verbindet, scheint schon ein Zahlschein den Glauben erschüttern zu können.

In der Erzdiözese Wien sieht man keinen akuten Änderungsbedarf. "Das Beitragssystem ist unter allen schlechten Systemen noch eines der besten", sagt Sprecher Prüller. "Mit der Kirche kann man reden und sagen 'Heuer schaffe ich etwas weniger'. Am Finanzamt geht das nicht." Außerdem stehe die Kirche "nun einmal in der Welt, und alles, was man in dieser Welt tut, kostet etwas": von der Kirchensanierung bis zum Sozialprojekt.

Theologe: Kulturbeitrag statt Kirchensteuer

Von einem Kulturbeitrag, den alle Bürger bezahlen, aber dafür über die Verwendung ihrer Gebühr, wie in Italien, mitreden können, hielte Appel viel. Das würde die Situation entkrampfen. Der Theologe warnt die Bewahrer des Kirchenbeitrags: "Wer die Kirche als Unternehmen versteht, versteht sie falsch." (Lukas Kapeller, derStandard.at, 13.3.2012)