Zwei strafversetzte Ärzte in der Provinz eines versteinerten Landes: Nina Hoss und Ronald Zehrfeld finden in Christian Petzolds "Barbara" auf eine distanzierte Weise aneinander Gefallen.

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Auf der Berlinale als bester Regisseur ausgezeichnet: Filmemacher Christian Petzold. Petzold, 51,  ist ein Regisseur, der mit der "Berliner Schule" assoziiert wird. Bisher beschäftigt er sich in Filmen wie "Die innere Sicherheit", "Gespenster" oder "Yella" präzis und irritierend mit der Gegenwart Deutschlands.

 

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Dominik Kamalzadeh befragte den deutschen Regisseur zu diesem Geschichtsfilm der leisen Gesten.

 

Standard: "Barbara" erzählt eine Geschichte um eine unangepasste Ärztin in der DDR des Jahres 1980. Warum entschieden Sie sich für einen historischen Stoff - in diesem Land, zu diesem Datum?

Petzold: Meine Eltern stammen aus dem Osten, sind jedoch geflüchtet - ich wuchs nahe von Mönchengladbach auf. Sie haben den Kommunismus verachtet und liebten Amerika und Frankreich: Gewürze, Autos, Lucky Strikes. Trotzdem war die DDR immer Heimwehland. Diese Zerrissenheit meiner Eltern hab ich als Kind überhaupt nicht kapiert. Nach der Ölkrise fuhren wir dann wesentlich öfter in den Osten, mein Vater spielte sogar mit dem Gedanken zurückzukehren. Die Frage, dass man immer dann flieht, wenn die Verhältnisse unerträglich werden, hat mich beschäftigt.

Standard: Wie wurde daraus ein Filmprojekt - wollten Sie dem in Ausstattung schwelgenden Historienfilm etwas entgegensetzen?

Petzold: Der Film entstand nicht nur als Protest gegen grausame Kulissen und entsetzliche Roman-Verfilmungen. Ich war mit Nina Hoss für andere Filme öfters im "neuen" Osten, dem Treuhand-vernichteten Osten - diese Erfahrung habe ich dann mit der Novelle Barbara von Hermann Broch in Verbindung gebracht. Vorbild war Fassbinders Händler der vier Jahreszeiten - für mich der ultimative Film über die 50er-Jahre: der Resopaltisch, die Nachhilfestunde, die grauenhafte Sexszene, der VW-Bus mit Heckscheibe. Ich wollte auch alles so detailgenau rekonstruieren. Jeder Gegenstand sollte zwei Monate vor dem Dreh da sein, damit wir uns alle in dieser Zeit aufhalten können.

Standard: Weil die Dinge auf einen abfärben?

Petzold: Ja, und damit wir selber abfärben. Das klingt übernaturalistisch. Doch so befreit man sich vom Druck der Kulissen und bewegt sich selbstverständlicher.

Standard: Sie sprachen von der Zerrissenheit Ihres Vaters: Auch die von Nina Hoss verkörperte Heldin steht zwischen zwei Welten. Sie kann sich zwischen Flucht und Ausharren im Land nicht entscheiden - eine unheroische, fast abweisende Figur. Wie hat sich dieser Charakter entwickelt?

Petzold: Die Vereinfachungen der TV-Dramaturgien sind ja bereits in alle unsere Lebenszusammenhänge eingedrungen. Ich wollte bestimmt keinen Film darüber machen, wie man eine Krise bewältigt. Oder von einem Unterdrückungsregime erzählen, dem eine Frau gegenübersteht - wie langweilig! Mir gefallen etwa die Autoszenen zwischen Nina Hoss und Ronald Zehrfeld, der André, ihren Arztkollegen, spielt: Sie wendet da Verhörtechniken wie von der Stasi an. Sie hat so eine knallharte Diktion. Es gibt keine Guten in dem Film, sondern nur eine Sprache, die sich in die Zwischenräume der Menschen eingebrannt hat. Wir wollten mit einer infizierten Sprache der Macht beweisen, dass man damit auch einen Liebesdialog führen kann.

Standard: Wie lässt sich diese Sprache für solche Inhalte retten?

Petzold: Die beiden haben ja nur diese eine Sprache - deshalb zeigt sie Wirkung. Ich wollte einmal einen Film machen, in dem der Autor nicht mehr da ist; nicht mehr von oben gucken, sondern Menschen dabei zuschauen, wie sie mit einer verseuchten Sprache in Misstrauensräumen mit Alltäglichkeiten klarkommen und wie sich selbst da noch Liebe entwickelt: Das ist wie Natur. Du haust und klopfst in ein Biotop hinein, und trotzdem entsteht da etwas. Helmut Käutners Film Unter den Brücken haben wir auch als Vorbereitung angeschaut - ich finde toll, dass da mitten im Faschismus ein Film entstehen konnte, der diesen nicht ausblendet, aber in dem man am Ende das Gefühl bekommt, die Figuren kriegen eine neue Gesellschaft hin.

Standard: Nicht alles wird freilich in Worten ausgedrückt. In der Hotelzimmerszene, in der Barbara von ihrem Freund aus dem Westen ein Leben ohne Arbeit in Aussicht gestellt wird, ist schnell klar, was in ihrem Kopf vorgeht ...

Petzold: Das ist doch oft so: Man lernt jemanden im Urlaub kennen, findet zu einer gemeinsamen Sprache, die fern vom Alltag ist. Dann kommt man nach Hause, sieht Berufe, Gesinnungen, Parteimitgliedschaften des anderen und denkt: oje. Barbara hat diesen Mann in einer Ausnahmesituation kennengelernt, in einem Transitraum - sie treffen sich im Wald und im Hotel. Kann man darauf eine Beziehung aufbauen? Der erste Satz, der Alltag beschreibt, ist für sie ein Schock: Du kannst ausschlafen und musst nicht mehr arbeiten, so ist das bei uns in Westdeutschland.

Standard: Die Alternative, Andrés Haus mit Garten und Gewürzen, hat aber auch eine gewisse Kleinbürgerlichkeit. Ein Gegensatz?

Petzold: Wer im Untergrund oder auf der Flucht lebt, kann sich nicht mit Sozialem belasten. Man muss stromlinienförmig bleiben. Barbara will glatt, hart und kalt sein, sie will sich nicht öffnen, sie will kein Gefühl haben - sonst wird sie feig und groß und kommt nicht mehr durch den Spalt: Die sogenannte Freiheit. Andrés Wohnung sieht für uns wie eine Opposition aus, weil Barbara dort Bücher aus der Wand zieht. Sie fängt an sich zu öffnen. Nichts darin ist repräsentativ, alles selbstverständlich. Wenn er ihr etwas erzählt, findet sich kein Zwischenton darin - und das haut sie um.

Standard: Wie wichtig war das Thema Verantwortung? Als Ärzte stehen sie besonders in der Pflicht.

Petzold: Ich hätte 26 Seiten über den Eid des Hippokrates füllen können. Es geht natürlich auch um Ethos. Barbara sagt zwar, dass sie an Sätze wie "Die Arbeiter und Bauern haben für Ihr Studium gesorgt" nicht mehr glaubt, aber sie hört mit der Arbeit auch nicht auf. "Machen Sie das öfter?" - Was denn?" - "Arschlöchern helfen." Das ist der hippokratische Eid. Und es ist der Widerstreit zweier Menschen, die darüber Gefühle bekommen, Respekt, Achtung. (DER STANDARD, 9.3.2012)