Nicht schon wieder ein Atom-Volksbegehren! Richtig. So denken auch wir. Manchmal zumindest. Eigentlich können wir das Geschwafel rund um das Thema "Atom" schon nicht mehr hören. Noch dazu ist das Instrument "Volksbegehren" durch allzu viele Scheindebatten im Parlament und anschließender Schubladisierung stumpf geworden.

Was lernen wir daraus? Sollte man die Finger vom Thema "Atom" lassen und sich Debatten zuwenden, die gerade mehr in der Gunst der Medien- und Politik-Eliten stehen? Sind Volksbegehren per se sinnlos, weil es Beispiele für unsinnige oder erfolglose Volksbegehren gegeben hat? Weder noch. Die aktuelle Lage ist nämlich nicht gut: In West- und Osteuropa macht die Atomindustrie Druck für bis zu 29 neue Atomreaktoren; darunter neue Kraftwerke in Bulgarien, Rumänien und Russland.

Obwohl man in Europa mittlerweile lange suchen muss, um noch echte "Fans" der Atomenergie zu finden, geistert sie plötzlich wieder als Energieträger der Zukunft und als energiepolitische Antwort auf die Klimaproblematik durch diverse Papiere und Dokumentsentwürfe der Eurokratie. Die EU-Atomlobby, organisiert im Verband "Foratom", hat denn auch viel Lob für die zuständige EU-Kommissarin Loyola de Palacio parat, die den zur Neige gehenden Rahmen für geförderte Euratom-Kredite gleich um 50 Prozent, von vier auf sechs Milliarden Euro, aufstocken will. Und: Der peinlich antiquierte Euratom-Vertrag, der seit 1957 den "Aufbau einer mächtigen Kernenergie in Europa" zum Ziel hat, soll nach dem Wunsch des Konvents-präsidenten Giscard d'Estaing, weitgehend unverändert in die EU-Verfassung übernommen werden.

Was würde Euratom in der EU-Verfassung bedeuten: Die Atomindustrie wäre in Zukunft als einzige Energieform in Europa durch ein eigenes Regelwerk geschützt. Sie würde als einzige Branche einen separaten Forschungsetat nachgeworfen bekommen. Eine demokratische Kontrolle durch das Europäische Parlament wäre weiterhin weitgehend ausgeschlossen, und ein Umstieg auf die Energieträger der Zukunft - nämlich Solar-, Wind- und Biomasseenergie - würde bis zur Unmöglichkeit erschwert. Wir sagen daher: Fast 50 Jahre Sonderrechte für die Kernenergie sind genug! Auch der Unterhaltungswert der Pannen von Temelín, Paks und Co hält sich in Grenzen.

Neun von derzeit fünfzehn EU-Mitgliedern haben nie Atomenergie genutzt oder sind auf dem Weg aus der Nutzung auszusteigen. Österreich hat bisher mindestens 100 Millionen Euro an die Brüsseler Atom-Töpfe überwiesen. Verständlich, dass die Atomlobby darum kämpft, diesen Geldsegen zu erhalten oder gar auszubauen.

Die EU ist also drauf und dran, eine "nukleare Zecke" in der neuen Verfassung zu verankern. Und das auf lange Zeit: Jede Änderung müsste die Zustimmung aller Mitgliedstaaten erhalten. Was so gut wie ausgeschlossen ist. - Und wo bleibt der einstige "Anti-Atom-Vorreiter Österreich"? Das fragen wir uns auch.

Der Konvent erhielt 2001 den Auftrag, das Primärrecht der EU zu vereinen und dem Europäischen Rat einen Entwurf für eine EU-Verfassung vorzulegen. Am 20. Juni soll es nun in Thessaloniki so weit sein: Der Ball ist bei den Regierungschefs. Farnleitner, Einem, Mainoni und Voggenhuber, die österreichischen Mitglieder im Konvent, kritisieren zwar allesamt dieses Ansinnen, sie haben aber unterschiedliche Lösungsansätze parat. Entscheidend ist aber weniger, wo Euratom verstaut wird, sondern einzig und allein, ob Euratom im Rahmen der Verfassungsdiskussion abgeschafft wird oder nicht. Nur dann haben die EU-Bürger bei den Volksabstimmungen über die neue Verfassung die Möglichkeit, sich für oder gegen die Privilegien der Atomindustrie zu entscheiden.

Schweigsamer Kanzler

Jede Ausklammerung und Verzögerung der Klärung dieser Frage bis nach den Volksabstimmungen wäre der Versuch, eine gefährliche und nicht mehrheitsfähige Technologie an der Demokratie vorbei zu schwindeln.

Offen bleibt, wie sich Kanzler Schüssel in Griechenland verhalten wird: Er hüllt sich wieder einmal in Schweigen.

Dabei wäre Österreich mit einer ablehnenden Position nicht allein. Neun von fünfzehn EU-Staaten haben entweder nie Kernkraftwerke betrieben oder sind am Weg, sie wieder los zu werden. Wenn allerdings Umweltminister Pröll erklärt, dass er das Volksbegehren nicht unterschreibt, weil es am Anti-Atom-Kurs der Regierung ohnedies nichts zu verbessern gibt und er sich nicht "binden" lassen will, spätestens dann läuten die Alarmglocken. Schaffte es der Minister doch tatsächlich, am letzten Freitag einer EU-Umwelthaftungsrichtlinie zuzustimmen, die die Folgekosten eines AKW-GAUs verallgemeinert - und die Steuerzahler ab einer gewissen Schadenshöhe zahlen lässt.

90 Prozent der Österreicher sind übrigens laut Umfrage des Meinungsforschungsinstituts ISMA der Ansicht, Schüssel sollte gegen Atom-Sonderrechte in der EU stimmen.

Kurzum: Es gibt viele Gründe, dieses Volksbegehren (Fristablauf: 17. Juni) zu unterschreiben. Und Sie können sicher sein: Wir werden die Schubladen im Parlament genau im Auge behalten. Die Hitzwelle ebbt außerdem ab. Gehen Sie hin! (DER STANDARD, Printausgabe, 14./15.6.2003)