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Das Treuegelöbnis gegenüber der Nation und der Flagge der Vereinigten Staaten darf bei keiner Wahlveranstaltung fehlen, schon gar nicht bei den Republikanern.

Foto: dapd/Herbert

Romney oder Santorum: Es geht jedenfalls um einen Kulturkonflikt.

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Dass Sharon Deubreau schnell zu begeistern wäre, kann man nicht behaupten. Skeptisch schaut sie in die Runde, über weiß gedeckte Tische, nach vorne zur Bühne. Aber dann sagt der Mann vorne zwei Sätze, die sie wie elektrisiert aufspringen lassen: "Barack Obama reist um die Welt und entschuldigt sich für Amerika. Ich werde aber nirgendwo für das großartigste Land auf Erden um Verzeihung bitten", poltert Rick Santorum. Eine halbe Minute steht Sharon da und applaudiert, mit einer Miene, in die sich Stolz und Trotz mischen.

Nein, auf Äußerlichkeiten legt sie keinen Wert. Während andere im Sonntagsstaat beim Lincoln Day Dinner in Lima sitzen, einem verschlafenen Nest im Nordwesten Ohios, trägt sie Fleecejacke und T-Shirt. Ihre Jeans sind ausgebeult, die Dauerwelle verliert an Kontur. Die Mittfünfzigerin lehrt an einem College Geschichte. Über Obama sagt sie, er wolle Präsident der ganzen Welt sein. "Bei Santorum weiß ich, dass er für Amerika steht."

"Knarre und Bibel"

Ähnlich sieht es der Gefängnisaufseher Paul Kreher, ein Schrank von einem Mann. "Ja doch, wir sind diese Leute mit Knarre und Bibel", sagt er. "Und wissen Sie was? Unser Land ist mit Knarre und Bibel groß geworden." Es ist vier Jahre her, da sprach Obama von den kleinen Leuten, den Verlierern der Globalisierung, die sich in ihrem Frust an Flinten und die Kirche klammerten. Kreher nimmt es ihm bis heute übel. Und Mitt Romney, der Favorit der Konservativen, ist für ihn nur ein Obama im republikanischen Tarnmäntelchen. Zu weltläufig, zu gewandt, obendrein steinreich.

"Rick versteht meine Welt", sagt auch Pauls Tochter Rachel. Nach der Schule fing sie an, bei McDonald's Burger zu braten, für 7,70 Dollar pro Stunde, den gesetzlichen Mindestlohn in Ohio. Inzwischen ist sie stellvertretende Filialleiterin und spricht so begeistert von tollen Aufstiegschancen, als übe sie für ein Theaterstück über den "American Dream".

Rick Santorum, der Held der Arbeiterklasse? Seine Sozial- und Fiskalpolitik würde die Kluft zwischen Arm und Reich eher noch mehr vertiefen. Noch radikaler als Romney möchte er die Einkommenssteuer senken, den Spitzensatz auf 28 Prozent, sieben Prozent unter das heutige Niveau. Bei der staatlichen Rente schlägt er so drastische Kürzungen vor, dass Kritiker vom "Mann mit der Axt" sprechen. Und doch sind es vor allem Geringverdiener, die sich identifizieren mit ihm, dem Enkel eines italienischen Kohlekumpels. Seit 2007 hat Santorum als Lobbyist schätzungsweise fünf Millionen Dollar verdient. Solche Zahlen interessieren in Lima höchstens am Rande, es geht um das Bauchgefühl, dass da einer ist, der sie versteht. Paul spricht ohne Umschweife davon, es "denen da oben" - in Washington und an der Wall Street - zu zeigen.

Szenenwechsel: Eine Fabrikhalle in Dayton. Die Firma, US Aeroteam, ist spezialisiert auf den Bau von Flugzeugteilen. Ein Einwanderer aus Indien hat das Unternehmen gegründet, ein Fan Romneys, der die Maschinenkulisse für einen Wahlkampfauftritt nutzen darf.

Steve ist ein vorsichtiger Mensch. Seinen Familiennamen möchte der Manager nicht in einer Zeitung abgedruckt sehen. Auch nicht den seiner Firma. Designerbrille, akkurat gebügeltes Freizeithemd, nachdenkliche Sätze. Sein Blick reicht weit über den Tellerrand Ohios hinaus. Daheim stagniere das Geschäft, die Musik spiele in Indien, China, Lateinamerika. "Wir denken natürlich um", sagt Steve und erzählt von den Experten mit Chinesisch- und Spanischkenntnissen, die man eingestellt hat.

Es klingt so pragmatisch, wie Romney klang, bevor er nach rechts rückte, um dem überraschend starken Rivalen Santorum das Wasser abzugraben. Nüchtern analysieren, sich anpassen, die Welt verstehen - das ist die Philosophie des Managers.

Ein wenig irritiert schaut Steve zu, wie sein Favorit einen bulligen Footballprofi ins Rampenlicht der Fabrikhalle schiebt, um Volksnähe zu demonstrieren. "Wenn ich so stark wäre wie dieser Mann, hätte ich Washingtons Probleme wohl im Nu gelöst", ruft Romney. Der eher verlegen-verhaltene Applaus spricht für sich: Auf Theatereinlagen könnten sie hier in Dayton ganz gut verzichten. (Frank Herrmann aus Lima (Ohio), DER STANDARD, Printausgabe, 6.3.2012)