Wien - Natascha Kampusch hat die Gerüchte um ihre Vergangenheit in einem ORF-Interview als "empörend" und "enorme psychische Belastung" bezeichnet. "Es verletzt. Es ist schwierig, weil man gegen solche Vorhaltungen ja nicht argumentieren kann", sagte Kampusch in dem Gespräch, das am Montagabend in der Fernsehsendung "Thema" gezeigt werden wird.

Bereits am Sonntagabend wurden in der ORF-Sendung "Im Zentrum" die Gerüchte neuerlich aufgewärmt: Zweifel an der Einzeltätertheorie, die These, Kampusch habe während ihrer Gefangenschaft ein Kind zur Welt gebracht, Zweifel am Selbstmord des Entführers Wolfgang Priklopil, Gerüchte um das Motiv für den Suizid eines Ermittlers.

"Neuerlich missbraucht"

Kampusch werde 14 Jahre nach ihrer Entführung als damals Zehnjährige und mehr als fünf Jahre nach ihrer Flucht "neuerlich missbraucht", kritisierte der Journalist Christoph Feuerstein bei der Diskussion. Johann Rzeszut, ehemaliger Präsident des Obersten Gerichtshofs und Mitglied der Kampusch-Evaluierungskommission, übte unter anderem daran Kritik, dass das Ermittlungsverfahren nach knapp drei Monaten eingestellt wurde und den Angaben einer Zeugin der Entführung nicht ausreichend Beachtung geschenkt worden sei. Die damals Zwölfjährige habe zwei Männer beobachtet. Dem hielt der Kampusch-"Sonderermittler", Staatsanwalt Thomas Mühlbacher, entgegen, dass das Mädchen sehr wohl nur von einem Entführer gesprochen habe, auch wenn sie unmittelbar vor der Tat einen zweiten Mann gesehen habe.

"Es wundert mich, dass du mit einer Aktenkenntnis daherkommst, die haarsträubend ist", warf der Staatsanwalt Rzeszut vor und warnte davor, willkürlich den Proklopil-Freund Ernst H. als Mittäter zu verdächtigen. "Wir müssen uns klar sein: Das ist kein Gesellschaftsspiel", sagte Mühlbacher. Die Nationalratsabgeordnete Dagmar Berlakowitsch-Jenewein (FPÖ) äußerte die Vermutung, dass der parlamentarische Unterausschuss, der sich mit der Causa Kampusch befasst, nicht alle Akten erhalten habe, sondern ein Teil davon unterschlagen oder frisiert worden sei. Dessen Vorsitzender Werner Amon (ÖVP) hatte vergangene Woche mit seiner Äußerung, dass die Mehrtätertheorie nicht ganz von der Hand zu weisen sei, die neuerliche Debatte und auch eine Diskussion über Verschwörungstheorien ausgelöst.

Parallelen zu Jack the Ripper

"Wir wissen seit Jack the Ripper, dass Spekulationen entstehen, wenn ein Verbrechen nicht völlig aufgeklärt wird", sagte der Psychiater Reinhard Haller. "Jetzt muss die Wahrheit auf den Tisch." Haller plädierte dafür, mit weiteren Ermittlungen jemanden zu beauftragen, der außerhalb jedes Zweifels steht. Mit dem deutschen Bundeskriminalamt und der US-Bundespolizei FBI seien diesbezüglich Gespräche geführt worden.

Ernst Geiger vom Bundeskriminalamt konnte die Zweifel an der Einzeltätertheorie auf Basis der angeblichen Angaben der Zeugin nicht nachvollziehen: "Sie hat die Tat vielleicht zwei bis drei Sekunden wahrgenommen. Natascha Kampusch war 3.096 Tage Zeugin", sagte der Polizeijurist. Er versicherte, dass Priklopil eindeutig Selbstmord begangen habe und Ernst H. intensiv überprüft worden sei. Dessen Anwalt Manfred Ainedter ging mit Rzeszut hart ins Gericht: "Sie haben das Parlament aufgehusst, damit die Ersatzjustiz spielen. Wir bewegen uns in einem rechtsfreien Raum", erklärte der Strafverteidiger. (APA/red)