"Als Hochegger Lobbyist wurde, haben alle gelacht": Karl Jurka.

Foto: derStandard.at/mas

"Grasser und Strasser werden freigehen oder erst gar nicht angeklagt werden", meint der frühere leitende ÖVP-Mitarbeiter.

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Hielt Peter Hochegger die Fäden in der Hand, ist er die zentrale Figur der vielfachen Korruptionsaffären, die nun Gegenstand des Untersuchungsausschusses sind? Nein, glaubt Lobbyist Karl Jurka, als Ex-ÖVP-Mitarbeiter versierter Kenner der österreichischen Innenpolitik, der die Vorgänge von Berlin aus verfolgt. "Hochegger fehlte die notwendige politische Expertise." Jurka glaubt vielmehr an ein Netzwerk in BZÖ-Regierungskreisen, das sich "den Futtertrog aufteilen" wollte. Dass Karl-Heinz Grasser sich vor strafrechtlichen Konsequenzen fürchten muss, glaubt Jurka nicht: "Grasser wird freigehen oder gar nicht angeklagt werden", sagt der Lobbyist auf einem kurzen Wien-Besuch im Gespräch mit derStandard.at.

derStandard.at: Sie leben und arbeiten als Lobbyist in Berlin. Verfolgen Sie die Arbeit des Korruptions-U-Ausschusses?

Karl Jurka: Jeder in der Branche verfolgt das – mit sehr viel Amüsement. Es gibt ein gewisses fassungsloses Staunen, wenn man sieht, wegen welch vergleichsweise geringer Beträge Bundespräsident Wulff zurücktreten musste. Den Christian Wulff lädt niemand mehr ein. Grasser ist immer noch der Lieblingsschwiegersohn der Nation und ist zu jedem Fest eingeladen – und wenn ich mir die Geldbeträge anschaue, um die es hier geht, ist das umso merkwürdiger.

derStandard.at: Peter Hochegger bekam 465.000 Euro für ein Telekom-PR-Konzept, das nie realisiert wurde. Ist das ein übliches Honorar?

Jurka: Nein. Sechsstellige Beträge für Konzepte, die jeder Junior Consulter in einem Tag runterschreibt – da passt die Relation nicht. Ich bin in Berlin einer der Teuersten. Mein Stundenlohn ist 650 Euro. Ein Tag kostet bei mir 6.500 Euro. Ich kann für einen Klienten nicht mehr als ein Drittel meiner Zeit verwenden, weil ich über 30 Klienten habe – da würden sich die anderen beschweren. Ich kann also pro Monat nicht viel mehr als 15.000 Euro pro Kunden verrechnen. Also die Summen, die hier genannt werden, gibt es in der realen Welt des Lobbying nicht.

derStandard.at: Wäre es denkbar, dass die Telekom Austria diese Honorare gutgläubig gezahlt hat – in der Annahme, es sei gut investiertes Geld?

Jurka: Wenn die Telekom wirklich Honorare in dieser Größenordnung gezahlt hat, dann frage ich mich, was die für ein internes Financial Controlling hatten. Über solche Summen muss ja irgendwann jemand stolpern. Entweder war die Telekom Austria sehr schlecht gemanagt, oder es ist etwas passiert, was nicht rechtlich war.

derStandard.at: Dann hat wohl auch die externe Prüfung versagt.

Jurka: Ja, spätestens die externen Prüfer hätten das hinterfragen sollen. Jeder Prüfer kennt sein eigenes Stundenhonorar und weiß, dass es nicht viel niedriger ist als das Stundenhonorar eines Lobbyisten. Das hätte auffallen müssen.

derStandard.at: Sind Spesenrechnungen wie die kolportierten 1.500 Euro für ein Mittagessen mit Alfred Gusenbauer üblich?

Jurka: Nein, das ist völlig außerhalb meiner Begriffswelt. Ein Menü in dem genannten Lokal kostet 70 Euro. Entweder es waren viel mehr Leute dabei – aber dafür ist das Lokal nicht groß genug – oder da ist etwas faul. Die Berliner Faustregel ist 50 Euro pro Person – inklusive Getränken. Wenn ein Regierungsmitglied dabei ist, dann sollen es halt 80 Euro sein – aber nicht viel mehr.

derStandard.at: Sind die fünfstelligen Spenden an Fußball-Zweitligisten normal?

Jurka: Ich finde, diese E-Mails wurden zu stark vermischt. Dressen für Fußballklubs zu spenden, das ist normal und nicht verwerflich. Die anderen E-Mails haben mich zum Teil sehr schockiert, zum Beispiel, wenn es heißt: "Wenn du dich um diesen oder jenen kümmerst, dann könnte uns das sehr helfen." Das ist eine schriftliche Aufforderung zu Korruption.

derStandard.at: Wäre es für Sie undenkbar, jemanden zum Hahnenkammrennen einzuladen?

Jurka: Undenkbar. Erstens kommt es raus, zweitens macht man es nicht. Man spricht so eine Einladung nicht einmal aus.

derStandard.at: Manche wundern sich, warum über Karl-Heinz Grasser keine Untersuchungshaft verhängt wurde. Sie auch?

Jurka: Erstens gilt die Unschuldsvermutung. Zweitens glaube ich schon, dass hier sehr viel interveniert wurde für den Herrn Grasser. Grasser hat viele Freunde und ein dichtes Netzwerk. Ich kenne die Aktenlage nicht – nur wurden andere, bei denen es solche Telefonprotokolle gab wie zwischen Grasser und Meischberger, längst in U-Haft genommen. Aber das wird bei Grasser nicht passieren – er geht wahrscheinlich frei.

derStandard.at: Glauben Sie an Grassers Unschuld?

Jurka: Ich glaube nicht, dass er unschuldig ist, aber ich glaube, es wird nicht reichen. Er hat alles über Vasallen erledigt – Meischberger, Plech und andere. Wie will man jemals beweisen, dass er selbst davon wusste? Mich hat schon erstaunt, dass die Richterin jetzt den Antrag auf Verfahrenseinstellung abgelehnt hat. Viele haben erwartet, dass das Einstellungsverfahren genehmigt wird, und dann is' a Ruh. Aber immerhin, da gibt es eine unabhängige Richterin, die Zivilcourage hat zu sagen: Nein, das Verfahren muss weitergeführt werden, weil es Verdachtsmomente gibt. Ich glaube, dass Grasser und Strasser freigehen oder erst gar nicht angeklagt werden. In beiden Fällen reichen die Beweise nicht.

derStandard.at: Sie haben schon 2004 gesagt, dass die Buwog-Ausschreibung nicht rechtmäßig war.

Jurka: Ja, und ich habe auch sehr viel Ärger deswegen gekriegt. Ich hatte damals in Berlin einen großen britischen Investor als Klienten. Der hat überlegt, ein Gebot für die Buwog zu machen. Ich habe gesagt: Das Geld könnt ihr euch sparen, das ist gelaufen. Das war im Februar 2004 – die Ausschreibung ist erst im April hinausgegangen. Und im Juli war mein Klient mir sehr dankbar, weil es genau so ausgegangen ist, wie ich gesagt habe.

derStandard.at: Wer wusste im Februar 2004 vom abgekarteten Buwog-Spiel?

Jurka: Die Frage ist: Wer wusste es nicht? Das war beim Opernball das Ballgespräch. Offenbar ist das bei einem Essen vor dem Opernball ausgemacht worden. Ob Grasser selbst davon gewusst hat, wird man nie beweisen.

derStandard.at: Wer hat darüber geredet – waren das Funktionäre der ÖIAG? Regierungsmitglieder?

Jurka: Ja, beides. Ich kann jetzt keine Namen nennen – aber es war einfach allgemein bekannt, dass die Immofinanz das kriegt und dass man sagt, wir reden nimmer drüber. Heute wird sich niemand daran "erinnern" können, weil alle wissen: Beweisen kann ich es nicht, und das bringt mir nichts anderes als eine Klage, die Grasser auch gewinnt.

derStandard.at: Auch Sie wurden von Grasser verklagt.

Jurka: Ja, das ging unglaublich schnell. Ich habe gegenüber der APA gesagt, dass bei der Buwog etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Das APA-Interview ist Montagabend ausgeschickt worden und am Dienstag in mehreren Zeitungen erschienen. Bereits am Dienstag hat mich der Staatsanwalt angerufen: "Sie haben den Grasser beleidigt, man will, dass wir gegen Sie vorgehen." Daran sieht man, wie schnell es gehen kann in der Justiz, wenn der Herr Grasser einmal das Opfer ist. Ich mache der Staatsanwaltschaft keinen Vorwurf – wenn man sie politisch lässt, ist sie ungeheuer geschwind. Binnen kurzer Zeit war das Urteil da: 4.500 Euro bedingt wegen Beleidigung des Herrn Grasser. Aber wegen Beleidigung des Herrn Grasser sind schon viele Leute verurteilt worden.

derStandard.at: Gab es ein "System Hochegger"?

Jurka: Es muss ein System geben, aber die Frage ist, wo die Fäden zusammenlaufen. Ist es nicht ein bisschen viel Lob für den Herrn Hochegger zu meinen, dass das alles bei ihm zusammengelaufen ist?

derStandard.at: Sie trauen es Hochegger nicht zu?

Jurka: Hochegger war immer ein PR-Fachmann. Dass er Lobbyist ist, hat er ja erst 2007 erfunden. Da haben alle gelacht – weil PR und Lobbying in einer Agentur, das hat noch nie funktioniert. Hochegger hatte nicht die notwendige politische Expertise. Aber offensichtlich wurde er dazu verwendet, Dinge abzuwickeln, er wurde instrumentalisiert.

derStandard.at: Von wem?

Jurka: Gorbach, Grasser, Strasser, Scheibner, Reichhold – gegen fünf Minister einer einzigen Regierung laufen Strafverfahren. Und von den fünf sind vier FPÖ/BZÖ-Politiker. Diese Ansammlung ist verwirrend. Es gibt die Legende, dass sich zu Beginn der FPÖ/BZÖ-Regierungsbeteiligung eine Gruppe von Leuten zusammengesetzt hat und gesagt hat: So, wie organisieren wir das jetzt, dass wir alle dran verdienen? Ich weiß nicht, ob die Geschichte wahr ist, aber wenn sie nicht wahr ist, dann ist sie gut erfunden. Denn es gibt dieses Phänomen, dass Leute aus eher kleinbürgerlichen Verhältnissen über die Politik plötzlich hinaufkommen und sagen: "Jetzt hab ich's geschafft, jetzt bin ich am Futtertrog und will auch was davon haben." Ohne Politik wäre Grasser Autoverkäufer und Meischberger Heizungstechniker.

derStandard.at: Wie realistisch ist es, dass die blau-orange Regierungshälfte sich am Futtertrog labt, ohne dass die schwarze Hälfte davon etwas mitbekommt?

Jurka: Sehr realistisch ist das nicht, aber es ist auch nicht bewiesen. Ich halte Wolfgang Schüssel nach wie vor für hochanständig, er hat nichts gemacht, aber die Frage ist, ob er etwas gewusst hat. Strasser war eine eigene Schiene – den wollte Schüssel nie in der Regierung haben, das hat Erwin Pröll erzwungen. Ich weiß, dass Schüssel einmal nachdrücklich gesagt hat, es muss eine klare Trennung geben zwischen Ministeramt und privaten geschäftlichen Interessen. Wir können uns ausrechnen, wer damit gemeint war.

derStandard.at: War es im Nachhinein betrachtet ein Fehler der Schwarzen, mit den Blauen zu koalieren?

Jurka: Ich habe es Schüssel gegönnt, dass er Kanzler wurde, aber in einer anderen Koalition wäre es mir lieber gewesen. Ich habe diese Koalition nie für richtig gehalten. Man hat ein gewisses Gedankengut damit salonfähig gemacht. Wolfgang Schüssel hat mit der Rechtsaußen-Partei nichts am Hut gehabt. Aber bei ihm war es die Erotik der Macht. Er wollte halt auch einmal Kanzler sein und zeigen, dass er das kann, und der rechte Flügel der ÖVP hat ihm das mit der FPÖ eröffnet.

derStandard.at: Hat sich Schüssel von Grasser blenden lassen?

Jurka: Dass er Grasser so gefördert und sich erst fünf Jahre später von ihm distanziert hat, das ist vielen ein Rätsel. Schüssel ist hochintelligent, er hätte eigentlich wissen müssen, dass das nicht astrein ist. Aber er hat vor eineinhalb Jahren noch zu vielen gesagt, dass er nicht verstehe, dass man Grasser gegenüber so kritisch sei, Grasser sei doch so toll als Finanzminister gewesen.

derStandard.at: Sie standen Grasser schon vor der Buwog-Ausschreibung kritisch gegenüber. Andere ÖVP-Funktionäre auch?

Jurka: Ja. Es gab auch andere, die ihn nicht für astrein hielten. Wobei, "nicht astrein" und "kriminell", das ist ein großer Unterschied, und es gilt die Unschuldsvermutung. Ich wünsche mir, dass man das rasch abschließt: Entweder es ist an den Grasser-Vorwürfen etwas dran – dann macht bitte eine Anklage und ein Gerichtsverfahren. Oder es ist nichts dran – aber dann stellt bitte dieses Verfahren ein. Aber das, was hier läuft, dieses Hü und Hott bei der Staatsanwaltschaft, das ist nicht auszuhalten. Die einen intervenieren und sagen, macht bitte schneller. Die anderen intervenieren und sagen: Aber bitte nicht so schnell. Die Causa Wulff war in knapp zwei Monaten gelöst – und wir zelebrieren die Grasser-Geschichte jetzt schon seit Jahren. (Maria Sterkl, derStandard.at, 5.3.2012)