Endlich macht's mal einer - könnte man ausnahmsweise mal sagen. In Passau verbietet die Rektorin einer Mittelschule ihren Schülern "Tschüss" zum Abschied - und möchte auch zur Begrüßung lieber ein nettes "Grüß Gott" hören. Längst überfällig, solch ein rabiater Spruch gegen die Verlotterung der Sprache.

Verlust von Moral, Geschmack und persönlicher Integrität

Dass die Jugend keinen Goethe mehr kennt, ist wohl nicht das Schlimmste, dass man ihrer verbalen Sprachlosigkeit aber Tag für Tag ausgesetzt ist, das grenzt schon an Gewalt gegen die Ohren. Aber die Erwachsenen haben sich diesen "Trends" ja leider schon längst angeschlossen - weil sie alle so jung wirken wollen wie die preußischen "Irgendwie so, sorry!"-Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus, die sich jetzt Politiker nennen und sich der Macht als ach so rebellische Hof-Narren andienen.

Beliebigkeit ist das Schlimmste - denn sie verrät den völligen Verlust von Moral, Geschmack und persönlicher Integrität. Aber diese Ingredienzen sind es, die jedem Menschen eine persönliche Identität verschaffen sollten. So langweilig, anspruchslos und unrebellisch wie heute war die Jugend noch nie, sie ist nicht mehr klischeehaft schlimm, sondern nur noch doof - genau wie die verkürzte Sprache, die sie sprechen. Jedes Wort zu seiner Zeit, es müssen nicht immer pseudo-wissenschaftliche Schachtelsätze sein. In der Kürze lag mal die Würze, aber seit den formlosen 70ern ist alles überwürzt.

Keine Frage: Die monotone, entsinnlichte Behördensprache der 40er, die dem Massenmorden diente, musste entstaubt werden - Hamburger sind genauso gut wie ein weilendes Ragout, das stundenlang köcheln sollte. Das Problem sind weder die neuartigen Anglizismen noch die "Kanak-Sprak" (Feridun Zaimoglu). Das Problem ist vielmehr, dass die Norm mittlerweile darin besteht, Sätze zu verkürzen und somit auch Gedankengänge und Ausschmückungen boshaft zu reduzieren.

Die Sprache hat sich selber den Krieg erklärt

Vielleicht ist das Passauer Vorgehen sogar noch zu inkonsequent: denn wie die Sätze und Wörter immer kürzer und knapper wurden, so auch die Röcke. Aber zu viel Haut ist genauso langweilig wie das ewige "echt", "geil", "verschärft" der Jugend - es zerstört den Reiz, das Anwachsen der Spannung, alles ist gleich da, jeder hat ein schnelles Urteil, jeder hat im Sommer ein nacktes Bein zu bieten.

Ganz anders etwa im konservativen Tokio, das nicht umsonst als globale Style- und Trend-Hauptstadt gilt. Ausziehen kann sich jeder, aber sich geschmackvoll zu gewanden, um das Gegenüber nicht zu beleidigen - das ist die Kunst. Die Sprache hat sich selber den Krieg erklärt, und die Mode hat sich mit ihrer infantilen Effekthascherei selber abgeschafft. Die gehypten Trendsetter haben die schlechte Welt gegen die schlechtere eingetauscht, um es mit Adorno zu sagen.

Enthemmte FKK-Sprache

In der geschichtsvergessenen und gleichsam fortschrittsfeindlichen Verkürzungs-Blödsinnigkeit offenbart sich nur der moderne Mensch, der unfähig ist, Genuss hinlänglich zu entfalten und zu zelebrieren. Es verzehrt sich niemand mehr, nur noch verliert man in raschest verschlungenen Genusshäppchen. Entfalten kann ein Mensch mit seinem Potenzial sich nur, wenn er Raum und Möglichkeiten hat.

Genauso, wie eine verkürzte und völlig enthemmte FKK-Sprache den Menschen um seine eigenen Möglichkeiten bringt, beraubt sie ihn der schwelgenden Sinnlichkeit. Andre Rieu ist noch lange kein großer Künstler, nur weil er Geige spielt. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, und ein Schwabe macht noch keinen Widerstand, nur weil er im Schlossgarten kindisch auf Bäume klettert. "Tschüss" ist kein Beleg für Rest-Höflichkeit, sondern für völlige Gleichgültigkeit.

Wo bleiben echter Stil und Eleganz?

Wie kontrastierend schön dagegen der Wiener Opernball (wenn er nicht so verlogen wäre): Fräulein und Damen in langen, aufwendigen Kleidern, die nicht den Reiz versagen, sondern Verzauberung bereiten und Versprechen enthalten. Eine inszenierte Höflichkeit, die Raum bietet für sprachliche Zwischentöne und humoreskes Flirten. Ein aufregendes, differenzierendes Unterfangen in einem ästhetischen Rahmen. All das fehlt den protestantischen Piefkes und den rheinischen Karnevalisten. Der Maskenball in Venedig bietet Stil und Eleganz, der Karneval in Rio bietet verzierte Verlockung, Alaaf und Helau sind nur laut, entgrenzt und distanzlos!

Wer schön sein will, muss leiden. Wer sprechen können will, der sollte sich ein wenig anstrengen müssen. Verrieten alte Kleidungsformen gleich alten Gedichten noch etwas von Devotion und Passion, Hingabe und Detailversessenheit, so schlurft man heute haltungslos und opportunistisch in Schlaffi-Klamotten durch die Straßen und betäubt sich mit dem ständig hämmernden iPod. Dementsprechend die Stars dieser Generation: eine einschläfernde Catherine Heigl mit lustlosem Blick. Was war doch dagegen Sophia Loren im Korsett!

Grüß Gott enthält Metaphysik, Tschüss heißt: Fuck you!

Die Smiley- und Facebook-"Gefällt mir!"-Button-Generation ist so unkritisch, angepasst und unhedonistisch wie fast nie eine zuvor. Grüß Gott enthält Metaphysik, Tschüss heißt: Fuck you! Selbst als Ungläubiger muss man festhalten: Die Reden des Papstes sind sprachlich tricky und in ihrer Bildhaftigkeit anregend. Anregend genau wie eine Mode, die nicht alles verrät.

Vielleicht sollte sich die westliche Mode, die nur noch mit spektakulären Porno-Effekten spielt, sich an der modernen muslimischen Ästhetik orientieren: Gekonnt verbindet man dort schwungvolle Kalligrafie mit güldener Pracht, warme Erdfarben mit leuchtender Seide. Mehr Stoff bedeutet nicht weniger Schönheit, sondern erweitert grandios die spielerische Fläche für Formen und Farben. Der Hijab verbirgt nicht das Gesicht, wie die langen Haare, die sich andere ins Gesicht kämmen, weil sie kein Gesicht zeigen wollen, sondern erhebt und umrahmt es als Ausweis von femininer Individualität. Und mit der orientalischen Sprachkunst kann die zeitgenössische Lyrik Europas kaum mithalten. Anstatt das Geheimnis der Schöpfung, also den Menschen, zu verehren und ihm die Wahrheit arbeitsam, aber befriedigend zu entlocken, hat die westliche Moderne ihren eigenen Anspruch der unaufmerksamen Hektik des menschenverachtenden Turbo-Kap geopfert.

Katholische Sinnesfreude in Österreich

Nicht zufällig kannten die abrahamitischen Religionen das Bilderverbot, es brachte die Menschen dazu, sich eine bessere Welt zu schaffen, anstatt sie sich nur vorzustellen. Heutzutage überschütten einen die Medien mit einem "Fern-See voll von Scheiße" (Horst Tomayer), und die Menschen sind stumm, taub und blind wie nie in der Nachkriegszeit. Alle halten sich für politisch korrekte Gutmenschen, aber der mörderische Sozialabbau in Griechenland durch Merkozy regt niemanden auf. Das offenbart die Verlogenheit der Werte im frankogermanischen Europa. In Paris kleidet man sich längst so schlecht wie in Berlin.

Einzig in Bayern und Österreich, das man gemeinhin verächtlich als konservativen Hort ausmacht, gibt es so etwas wie katholische Sinnesfreude, wie sie man auch aus Italien kennt. Der spöttische Blick aus dem Norden verriet nur den armseligen Neid auf so viel traditionellen Sinnesreichtum. Also: Macht die Sprache auch im Rest des Westens wieder schön und betont und die Röcke wieder lang, tailliert und körperbetont!

Politische Reaktionäre sind das Schlimmste - aber in der Sprache wie der Mode sollte gelten: nicht nur konservativ, sondern reaktionär! Verbieten ist nicht verboten, sondern vielleicht das einzige Mittel, um den ästhetischen Kahlschlag aufzuhalten! Das macht den Alltag wieder spannender und das Leben fantasievoller! (Marcel Malachowski, derStandard.at, 1.3.2012)