ModeratorIn: derStandard.at begrüßt Medizinjournalist Kurt Langbein im Chat und freut sich auf spannende Fragen.

Kurt Langbein: Einen wunderschönen Tag. Auch ich bin neugierig.

schick: Der Psychonkologe Alexander Gaiger behauptet, dass psychische Faktoren für die Entstehung von Krebs völlig irrelevant sind? Wie stehen Sie dazu?

Kurt Langbein: Ich bin überzeugt davon, dass psychische Faktoren an der Entstehung von Krebs wesentlich beteiligt sind. Mittlerweile gibt es auch schulmedizinische Untersuchungen, dass etwa bei Frauen aus amerikanischen Armenvierteln Krebs wesentlich häufiger auftritt und stressbedingt vor allem der Verlauf der Krankheit schlimmer ausfällt. Negativer Stress als Ursache für Krebs ist damit belegt. Studien dagegen, die nach einer Krebspersönlichkeit gesucht haben, haben keine Ergebnisse gezeigt. Das halte ich allerdings für eine ungeschickte Fragestellung. Es gibt keine Krebspersönlichkeit, aber Lebensumstände, die krank machen.

schick: Voltaire sagte: "Ärzte geben Medikamente, von denen sie wenig wissen, in Menschenleiber von denen sie noch weniger wissen" – Was würden Sie rückblickend sagen? Haben sie sich effizient und gut therapiert gefühlt, bei einer Erkrankung, von der man ei

Kurt Langbein: Es war gar nicht leicht, die für mich passende Therapie zu finden, weil in Österreich die Meinung vorherrscht, dass Prostatakrebs operiert gehört, allenfalls noch eine Hormontherapie sinnvoll sei. Ich habe mich gegen beide Varianten entschieden und mich einer kombinierten Strahlentherapie unterzogen. Dazu habe ich versucht, meine Lebenskraft durch eine onkologische Psychotherapie und Medikamente wie Mistelextrakt möglichst hoch zu halten.

UserInnenfrage per Mail: Sie kritisieren in ihrem Buch "Medizinkartell", dass der Patient keine Möglichkeit hat eine Abteilung in einem Krankenhaus oder einen Arzt auf Qualität zu überprüfen. Wie haben Sie die Auswahl ihrer behandelnden Ärzte getroffen?

Kurt Langbein: Ich habe das Privileg, durch meine journalistische Arbeit sehr viele gute Mediziner zu kennen. So war es mir möglich, auch eine Betreuung zu bekommen, die leider nicht jeder Krebspatient hat. Ich habe gelernt, wie wichtig eine kontinuierliche empathische Betreuung während des ganzen Verlaufs der Behandlung ist, weil Krebs auch ein emotionales Erdbeben auslöst, das erst bewältigt werden muss. Ich habe diese Emotionen zunächst als Tagebuch geschrieben und mich erst viel später zum Buch entschieden.

UserInnenfrage per Mail: Sie haben viele Therapiemaßnahmen kritisiert und dann selbst in Anspruch genommen. Warum?

Kurt Langbein: Ich habe die Begrenztheit der Chemotherapie und Strahlentherapie beschrieben und die großen Zerstörungen, die im ganzen Körper angerichtet werden. Es ist nur scheinbar ein Widerspruch, wenn man sich dann als Betroffener einer solchen Therapie unterzieht - es gibt leider bis heute keine Therapie gegen Krebs die ohne ein solches Zerstörungswerk auskommt.

ModeratorIn: Wissenschaftsjournalismus und Paramedizin - Ist das kein Widerspruch in sich?

Kurt Langbein: Wissenschaftsjournalismus tut gut daran, sich der Methoden der evidenzbasierten Medizin zu bedienen. Es sollten eigentlich nur Therapien empfohlen werden, die bewiesen haben, dass sie mehr nützen als schaden. Es ist aber etwas grundlegend anderes, sich als Einzelperson die für einen selbst passende Therapie zu suchen. Ich kann nicht zu 70 Prozent geheilt werden und zu 30 Prozent sterben. Für mich gibt es nur 100 Prozent. Und da können auch Verfahren hilfreich sein, die statistisch nur zu 30 Prozent wirken.

UserInnenfrage per Mail: Schulmediziner kritisieren, dass alternative Methoden nicht auf evidenzbasierten Studien basieren. Reicht Ihrer Meinung nach ärztliche Erfahrung als Beweis für die Wirkung einer Therapie aus?

Kurt Langbein: Ärztliche Erfahrung ist für die individuelle Auswahl einer Therapie sehr wichtig. Als Beweis können aber nur seriös gemachte Studien gelten.

Walter KURTZ: Wie sehen Sie den Informationsaustausch zwischen Arzt und Patienten? Gerade Krebs ist ein so heikles Thema, daß manche Ärzte glauben, Sie können dem Patienten nicht die volle Wahrheit zumuten.

Kurt Langbein: Ich glaube, dass gute Ärzte immer so viel sagen, wie der Patient wissen will. Ich glaube aber auch, dass Ärzte den Umgang mit den Emotionen eines Krebspatienten besser kennenlernen sollten. Das war auch ein Motiv für das Buch "Radieschen von oben". Ich schreibe da sehr direkt über meine Gefühle und bin froh, dass der Standard das einzige Medium war, das das als wehleidig bezeichnet hat. Alle anderen haben gut verstanden, dass das offene Ansprechen von Gefühlen zur Enttabuisierung beiträgt.

Walter KURTZ: Hatten Sie an irgendeinem Punkt das Gefühl, daß Ärzte Sie anlügen oder Ihnen bewußt Dinge verschweigen?

Kurt Langbein: Nein. Aber ich habe mir auch Ärzte ausgesucht, denen ich vertraue, und dieses Vertrauen ist nicht enttäuscht worden.

UserInnenfrage per Mail: Werden Krebspatienten mit Ihrer Erkrankung allein gelassen?

Kurt Langbein: Krebs löst Angst aus. Angst vor dem Sterben. Das gilt auch für die Angehörigen, und Betroffene wollen die Angehörigen schonen und beruhigen. Das führt zwangsläufig zu einer gewissen Isolation, wenn man nicht über seine Gefühle offen reden kann. Umso wichtiger wäre es, dass jeder Krebspatient zumindest eine Vertrauensperson im Medizinbetrieb angeboten bekommt, die ihm auch bei der psychischen Bewältigung der Erkrankung hilft.

UserInnenfrage per Mail: Wie stehen Sie zum Thema Selbstheilung?

Kurt Langbein: Ich bin überzeugt davon, dass die Mobilisierung der Selbstheilungskräfte der entscheidende Faktor ist, um schwere Erkrankungen wie Krebs zu überwinden. Das menschliche Immunsystem wird auch mit Herausforderungen wie Krebs fertig, wenn es nicht geschwächt ist. Die Therapien müssen die Voraussetzungen für die Verbesserung der Selbstheilungskräfte schaffen.

UserInnenfrage per Mail: Ist Ihnen das Wissen, dass sie über Krebs haben, bei Ihrer Erkrankung zu Gute gekommen?

Kurt Langbein: Ja und nein. Ich konnte durch mein Wissen eine Therapie bekommen, die mich vor den gefürchteten Nebenwirkungen der Prostatakrebsbehandlung - Inkontinenz und Impotenz - bewahrt hat. Mein Körper ist wieder im Takt. Aber das Wissen über die psychische Herausforderung Krebs hat nicht ausgereicht. Ich war überrascht über die Wucht der Emotionen, obwohl ich selber viele Krebspatienten interviewt und mit der Filmkamera begleitet habe.

ModeratorIn: Die Psychosomatik deklariert das Immunsystem als Brücke zwischen Psyche und Krankheit. Bestimmtes persönliches Verhalten soll die Abwehr schwächen. Ist der Krebspatient demnach schuld an seiner Erkrankung?

Kurt Langbein: Es ist ein leider üblicher, aber sehr problematischer Zugang, bei Erkrankungen überhaupt von Schuld zu sprechen. Niemand ist an seiner Erkrankung schuld. Aber es gibt Lebensumstände, die den Menschen und sein Immunsystem schwächen. Das Gefühl zu haben, nichts bewirken zu können, um seine Situation zu verändern, etwa macht krank. Aber Menschen können enorm viel lernen, auch wie sie besser mit solchen Situationen umgehen können. Die Psychoonkologie kann da viel bewirken.

Otto Normalbauer: Jeder zweite Mensch erkrankt im Laufe seines Lebens an Krebs. Man hat also eine 50/50 Chance, dass es einen selbst erwischt. Warum ist der Schock der Diagnose trotzdem so groß?

Kurt Langbein: Krebs ist ein Exzess des Lebens, der das Leben zerstört. Zu realisieren, dass im eigenen Körper eigene Zellen unsterblich werden, bis sie den ganzen Menschen töten, ist kein leichtes Unterfangen. Dazu kommt die Tabuisierung und die Neigung der Patienten, "Tapferkeit" zu zeigen.

UserInnenfrage per Mail: Sie nehmen Ärzte, medizinische Forschung und Pharmaindustrie hart ins Gericht. Wie stellt sich die Gesundheitsindustrie für Sie aus der Sicht eines Patienten dar?

Kurt Langbein: Ich habe nie "die" Ärzte pauschal kritisiert, sondern immer jene, die zu wenig an medizinischer Qualität interessiert sind. Und ich habe kritisiert, dass die Forschung in der Medizin zu sehr von Vermarktungsinteressen dominiert ist. Daran hat sich nichts geändert. Ich habe als Patient sehr genau bemerkt, wie wichtig eine kundige und einfühlsame Betreuung ist.

veltliner1: welche chance geben sie der "narrativen"medizin?

Kurt Langbein: Gespräche sind die Voraussetzung dafür, dass der Arzt die Rolle des Lotsen des Patienten übernehmen kann. Ein guter Arzt versteht sich auch als Lotse und braucht dazu sehr genaue Kenntnisse über den ganzen Menschen, den er betreut. Leider sieht unser auf Apparate und Chemie fixierter Medizinbetrieb diese wichtige zwischenmenschliche Ebene kaum noch vor. Insofern würde ich der Gesprächsmedizin mehr Chancen geben, als sie derzeit hat.

sombrero111: Wie vereinbaren Sie Emotionales (Betroffener) und Rationales (Journalist) in Bezug auf Ihre Erkrankung? Können Sie das denn immer auseinanderhalten?

Kurt Langbein: Nein. Über diesen Konflikt habe ich 215 Seiten geschrieben.

Frau Techne: Haben Sie im Zuge Ihrer Erkrankung Ihre Ernährungsgewohnheiten geändert? Wenn ja: Wie?

Kurt Langbein: Ich habe mich ziemlich detailreich mit den verschiedenen medizinischen Lehrmeinungen auseinandergesetzt, welche Nahrungsmittel Krebs fördern und welche nicht. Es lässt sich aus meiner Sicht da nichts Vernünftiges herauslesen, außer man möchte sich einer der Lehren einfach anschließen. Ich habe für mich den Schluss gezogen, dass ich einfach versuche, etwas gesünder zu essen, d. h. weniger Fleisch, mehr vernünftig zubereitetes Obst und Gemüse.

schick: Welche Reaktionen bekommen Sie aus der Öffentlichkeit für Ihren offenen Umgang mit Ihrer Krankheit? Werden Sie auch persönlich angegriffen?

Kurt Langbein: Ich freue mich über die überwiegend positiven Reaktionen. Persönliche Angriffe sind eine seltene Ausnahme.

UserInnenfrage per Mail: Ist es nicht eine Form von Exhibitionismus, mit der eigenen Erkrankung an die Öffentlichkeit zu gehen?

Kurt Langbein: Das kann man so sehen. Ich habe mich entschieden, mit meiner Betroffenheit und mit meinem Wissen an die Öffentlichkeit zu gehen, damit andere Betroffene ihren Angehörigen sagen können: "Da könnt ihr lesen, wie es mir geht." Diese Entscheidung ist mir nicht leicht gefallen und es ist das erste Mal, dass ich über mich geschrieben habe. Und ich hoffe, dass damit das Thema Krebs ein wenig von seinen Tabus befreit werden kann.

UserInnenfrage per Mail: Mediziner sprechen bei Krebs heute von einer chronischen Erkrankung. Teilen Sie diese Meinung?

Kurt Langbein: Es gibt einzelne Krebsarten, die - früh genug erkannt - zu einer chronischen Erkrankung werden können, weil sie das Leben nicht beenden. Krebs im fortgeschrittenen Stadium führt heute leider ebenso häufig zum Tod wie noch vor 20 oder 30 Jahren.

veltliner1: darf von der jüngerenärztegeneration eine bessere kommunikation mit den patienten erwartet werden?

Kurt Langbein: Ich glaube, dass unter den jungen Ärzten viele eine optimale Medizin betreiben wollen, die ohne gute Kommunikation mit dem Patienten nicht auskommt. Aber es braucht im Medizinbetrieb die Voraussetzungen für Gespräche. Der Ablauf in Spitälern etwa ist nach Organfunktionen organisiert. Spitäler der Zukunft sollten nach den Bedürfnissen der Patienten geplant werden.

UserInnenfrage per Mail: Was halten Sie heute vom PSA-Screening?

Kurt Langbein: Das PSA-Screening für alle Männer ist problematisch, weil dadurch viele Menschen einer unnötigen Prozedur von Diagnose und Therapie unterzogen werden und auch unter den Komplikationen leiden müssen. Die amerikanischen Gesundheitsbehörden haben deshalb vor kurzem eine Empfehlung herausgegeben, dass der PSA-Wert bei Männern nicht mehr routinemäßig erhoben werden sollte. Es ist allerdings eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet ein Journalist, der vor dem PSA-Screening warnt, zu den wenigen Menschen gehört, die durch die PSA-Untersuchung rechtzeitig diagnostiziert wurden, und daher Fragen im Standard-Chat beantworten kann.

heavenmaster: Wann wird man Krebs heilen können !

Kurt Langbein: Die Medizin macht große Fortschritte beim Verstehen, welche Faktoren die Selbstheilungskräfte der Menschen beeinflussen. Wenn in diese Richtung intensiver geforscht wird und nicht mehr nach einer Magic Bullet, könnte es in einigen Jahrzehnten so weit sein. Es gibt heute schon Menschen, die komplett geheilt sind, obwohl sie einen Krebs hatten, der als nicht mehr behandelbar galt. Eine gute Medizin müsste mit ihren Forschungen dort ansetzen.

ModeratorIn: Wir bedanken uns herzlich bei Herrn Langbein fürs Kommen und wünschen ihm alles Gute. Ein Dank gilt auch den UserInnen für die zahlreichen Fragen. Schönen Nachmittag noch.

Kurt Langbein: Danke auch für den interessanten Gedankenaustausch.