Zürich - Eine gängige Hypothese zur Entstehung von Multipler Sklerose (MS) hat ein Forschungsteam der Universität Zürich in Zusammenarbeit mit Forschern aus Berlin, Leipzig, Mainz und München nun verworfen: Demnach führen Schäden im Myelin von Gehirn und Rückenmark nicht zu Multipler Sklerose. Die Ergebnisse der Untersuchung am Mausmodell wurden im Journal "Nature Neuroscience" veröffentlicht.

Millionen Erwachsene leiden an der unheilbaren Krankheit. Als relativ gesichert gilt, dass MS eine Autoimmunerkrankung ist, bei der körpereigene Abwehrzellen das Myelin in Gehirn und Rückenmark angreifen. Dieses Myelin umhüllt die Nervenzellen und ist wichtig für deren Funktion, Reize als elektrische Signale weiterzuleiten. Eine Hypothese zur Entwicklung der Erkrankung wurde nun von den Neuroimmunologen verworfen: Sterbende Oligodendrozyten, wie die Myelin-bildenden Zellen genannt werden, lösen MS demnach nicht aus.

Hypothese und Überprüfung

Die "neurodegenerative Hypothese" stützte sich auf Beobachtungen, dass manche Patienten charakteristische Myelinschäden ohne erkennbaren Immunangriff aufweisen. Da - der Hypothese zufolge - die MS-auslösenden Myelinschäden ohne Beteiligung des Immunsystems entstehen, wäre die gegen das Myelin gerichtete Immunantwort das Ergebnis - und nicht die Ursache. Diese Hypothese wollte die Forschungsgruppe im Mausmodell bestätigen oder widerlegen.

Die Forscher erzeugten durch genetische Tricks Myelindefekte, ohne die Immunabwehr zu alarmieren. "Zu Beginn unserer Arbeit fanden wir Myelinschäden, die sehr stark den bisherigen Beobachtungen an MS-Patienten glichen", erklärte Burkhard Becher von der Universität Zürich. Allerdings: "Wir konnten jedoch nie die Entwicklung einer MS-ähnlichen Autoimmunerkrankung beobachten." Um herauszufinden, ob eine aktive Immunabwehr aufgrund einer Infektion zusammen mit Myelinschäden zur Erkrankung führt, führten die Forscher eine Vielzahl weiterer Experimente durch - ohne Erfolg. "Es ist uns nicht gelungen, eine MS-ähnliche Erkrankung nachzuweisen, egal wie stark wir das Immunsystem auch stimuliert haben. Wir erachten die neurodegenerative Hypothese deshalb als überholt", so Ari Waisman von der Universitätsmedizin Mainz.

Die Arbeitsgruppen wollen sich auch weiterhin der Erforschung der Multiplen Sklerose widmen - der Fokus hat sich nun allerdings geändert: "Aufgrund dieser und weiterer neuer Erkenntnisse wird sich die Forschung an der Krankheitsentstehung der Multiplen Sklerose in Zukunft sicherlich weniger auf das Gehirn, sondern mehr auf das Immunsystem konzentrieren", zeigte sich Thorsten Buch von der Technischen Universität München überzeugt. (red)