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Einer Menschenkette, die Demonstranten am Sonntag um Moskaus Zentrum zogen, stellte die Staatsmacht ihre eigene entgegen.

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Eine Explosion in einem Wohnhaus in Odessa (Ukraine) erschüttert das politische Moskau: Angeblich hat ein Terroristentrio in dem Haus Bomben gebastelt, die unter anderem für einen Anschlag gegen Russlands Regierungschef Wladimir Putin genutzt werden sollten, als ein Sprengsatz Anfang Jänner detonierte. Ein mutmaßlicher Täter kam dabei ums Leben, ein weiterer wurde verletzt. Der Überlebende habe genau so wie der inzwischen gefasste dritte Täter ein Geständnis abgelegt, berichtete das russische Staatsfernsehen am Montag.

Dem Report zufolge hat der tschetschenische Extremistenführer Doku Umarow den Auftrag zu dem Verbrechen gegeben. Mit einer Fahrzeugmine sollte Putin unmittelbar nach den Wahlen am 4. März in die Luft gesprengt werden - der russische Inlandsgeheimdienst FSB soll den Sprengsatz bereits gefunden und entschärft haben, heißt es. Der FSB selbst kommentierte diese Angaben nicht.

Dafür meldete sich der ehemalige FSB-Direktor Nikolai Kowaljow, inzwischen Abgeordneter für die Regierungspartei Einiges Russland in der Staatsduma, zu Wort: "Die Massenproteste, die Demonstrationen auf dem Bolotnaja-Platz sind Umarow genehm. Dass die Russen Stabilität wählen hingegen nicht, darum auch der Versuch, mit Terroranschlägen zu antworten", schlägt Kowaljow eine Brücke zwischen Terroristen und friedlichen Demonstranten.

Viele Experten irritiert hingegen der Zeitpunkt der Wahlkampfbombe. Das könne man wohl einen äußerst termingerechten Anschlag nennen, meint etwa der Politologe Dmitri Oreschkin. Schon in den 1990er-Jahren sei die Methode eines fiktiven Anschlags auf einen Kandidaten kurz vor den Wahlen als Polittechnologie entwickelt worden, um dessen Sympathiewerte zu stärken, erklärte auch der Leiter der Stiftung Petersburger Politik, Michail Winogradow. Dabei hätte der Regierungschef zusätzliche PR gar nicht nötig, wenn die letzten offiziellen Umfragen stimmen: Demnach kommt der Kremlkandidat bereits im ersten Wahlgang auf knapp 60 Prozent der Stimmen.

Damit könnte Putin die ungeliebte Stichwahl umgehen, die seinen Aussagen nach Russland destabilisieren würde. Immer wieder hatte das Lager des Premierministers in den vergangenen Wochen die Gefahr einer angeblich geplanten Revolution und gar eines Bürgerkriegs betont.

Eine wirksame Wahlkampftaktik, sind die Russen doch nach zwei radikalen Umwälzungen im vergangenen Jahrhundert - der Oktoberrevolution 1917 und der Perestroika unter KPdSU-Chef Michail Gorbatschow - revolutionären Veränderungen gegenüber skeptisch eingestellt (siehe Artikel unten).Auch mit seinen Wahlkampfversprechen konnte Putin zuletzt punkten. Versprechen gab der starke Mann Russlands dabei an alle Bevölkerungsschichten. Rentnern sicherte er höhere Pensionen bei einem weiterhin niedrigen Einstiegsalter zu. Die Jugend ködert er mit höheren Stipendien für Studenten und 25 Millionen neuen Arbeitsplätzen im Hightech-Sektor. Milliardeninvestitionen in den Aufbau einer modernen Armee sollen die rechtsnationalen Kreise befriedigen. Den Mittelstand - der Motor der Proteste in Russland - will Putin durch einen rigorosen Kampf gegen die Korruption und mehr Mitbestimmung in der Politik zurückgewinnen.Ob Putin die versprochenen Reformen nach seiner Rückkehr in den Kreml angeht oder, wie einige Beobachter befürchten, die " Daumenschrauben anziehen" wird, lässt sich derzeit schwer abschätzen. Die Bilanz der vergangenen zwölf Jahre spricht eher gegen einen reformfreudigen Putin - andererseits waren die Massenproteste in Moskau und anderen Großstädten auch die ersten lautstarken Unmutsbekundungen der Russen in der Ära Putin. Ein "Weiter so" - so die klare Aussage der Proteste - wollen die Russen nicht.(DER STANDARD Printausgabe, 28.2.2012)