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Meryl Streep und Jean Dujardin.

Foto: Joel Ryan/AP

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Sacha Baron Cohen provoziert als Diktator.

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Wien / Los Angeles - "Willkommen im 'Chapter 11'-Theatre!" - Den vielleicht besten Gag des Oscar-Abends lieferte Moderator Billy Crystal gleich zu Beginn der Gala. Da Kodak seinen Bankrott erklärt hatte, war auch der berühmte Veranstaltungsort in Hollywood namenlos - deshalb müsse er nun "Chapter 11" heißen, nach dem Paragrafen, der Insolvenzen regelt. Der Witz bot einen stimmigen Kontrast in einem Jahr, in dem man in den meisten anderen Belangen der Nostalgie frönte. So oft wie bei der 84. Oscarverleihung wurde schon lange nicht mehr Film und Zelluloid gefeiert (und damit verbundene Tugenden Hollywoods). Digitaler Paradigmenwechsel? Geschenkt!

Die Vorgabe dafür lieferten natürlich die Favoriten selbst, Martin Scorseses Hugo Cabret und der französische Schwarz-Weiß-Importfilm The Artist, die beide auf unterschiedliche Weise die Frühzeit des Kinos in die Gegenwart verlängern. Die Show nahm das Thema dankbar auf: Es gab artistische Einlagen vom Cirque de Soleil, die die Jahrmarktstradition des Laufbilds hochhielten, Einspielungen von Stars, die Erinnerungen an erste Filme preisgaben, Angelina Jolies neckisch vorgerecktes Bein und eine geölte Dramaturgie, die klassisches Showmanship bieten wollte. Billy Crystal moderierte dazu so trocken, als würde die Gala jeden Abend auf dem Programm stehen.

Die Preise wurden schließlich unter den Favoriten brüderlich geteilt: Hugo Cabret dominierte die erste Hälfte des Abends in den technischen Kategorien, The Artist dann die zweite mit den wichtigeren Preisen - beide Filme erhielten je fünf Oscars. Bei Hugo Cabret kam allenfalls die beste Kamera unverhofft, da Emmanuel Lubezki für Terrence Malicks Cannes-Siegerfilm Tree of Life favorisiert worden war. Scorsese wohnte der Veranstaltung übrigens mit zwölfjähriger Tochter Francesca bei, für die er seinen Familienfilm ja realisiert hatte. Kinder spielten am Ende auch beim prämierten Michel Hazanavicius, dem Regisseur von The Artist, eine Rolle, da die Seinigen im spätnächtlichen Paris wachgeblieben waren. Als er am Ende genug Oscars in der Tasche hatte - darunter bester Film, bester Darsteller, beste Regie -, schickte er den Nachwuchs ins Bett. Wesentlich für diesen beispiellosen Triumph eines europäischen Films ist das Wirken von US-Produzent Harvey Weinstein, der sich den Vertrieb im US-Markt gesichert und eine kostspielige Oscar-Kampagne gefahren hatte. Interessanterweise fiel sein Name dann jedoch in fast keiner Rede. Selbst Uggie, der Artist-Hund, wurde öfter erwähnt.

Jean Dujardin, der charismatische Star des Films, ist in den USA noch ein Unbekannter. Dennoch setzte er sich gegen starke Konkurrenz wie George Clooney, Brad Pitt und Gary Oldman durch und strahlte schließlich wie ein Hutschpferd, als er den Geist von Douglas Fairbanks beschwor, der 1929 bei der ersten Oscar-Bekanntgabe nur 15 Minuten benötigt hatte. Für den bewegenderen Andachtsmoment der Gala sorgte jedoch der 82-jährige Christopher Plummer, der für seine Rolle als todkranker und schwuler Vater in Beginners für die beste Nebenrolle ausgezeichnet wurde: "Du bist nur zwei Jahre älter als ich, wo warst du mein Leben lang?", lautete sein erster Satz, als er die Trophäe endlich in Händen hielt.

Pathos und Ironie

Es sind solche Augenblicke plötzlicher Ergriffenheit, auf die man bei Oscar-Galas insgeheim hofft. In diesem Jahr gab es davon nicht allzu viele: Meryl Streep, die überraschend für ihre Anverwandlung von Margaret Thatcher den dritten Oscar entgegennehmen durfte - Viola Davis galt hier als Favoritin -, glaubte man jedes Wort, als sie ihre Rede improvisierte und zwischen Selbstironie und Pathos changierte. Sie ließ sich etwas länger Zeit ("Ich weiß sehr gut, dass ich hier nie wieder stehen werde"), da sie auch ihrem langjährigen Make-up-Spezialisten Roy Helland dankte. Ein schöner Hinweis auf einen oftmals übergangenen Bereich der Illusionskunst.

Politisch wurde es bei der um sich selbst kreisenden Gala nur am Rande: Mit Nader und Simin wurde erstmals ein iranischer Film prämiert - Regisseur Asghar Farhadi sprach von der Kultur seines Landes, die " hinter dem Staub der Politik" verborgen liege, und widmete den Preis seinen Landsleuten. Komiker Sacha Baron Cohen sorgte indes schon am roten Teppich für Aufregung, weil er als Diktator verkleidet die Asche Kim Jong-ils verstreute - dies freilich war mehr anarchische Promo-Geste denn politisches Signal. (Dominik Kamalzadeh / DER STANDARD, Printausgabe 28.2.2012)