Die Enten für die Suppe kann man sich direkt vor dem Restaurant aussuchen. Manchmal leben sie sogar noch.

Foto: An Yan

Hühner warten auf ihr Schicksal.

Foto: An Yan

Die Fleischtheke auf dem Markt in Lijiang.

Foto: An Yan

Chinesen lieben Fleisch. Sie essen es, wann immer sie können - morgens, mittags, abends und dazwischen auch. Nicht nur als Vegetarier merkt man, dass jedes erdenkliche Essen zumindest mit Fleischbrühe oder Tierfett zubereitet ist. Wenn man nicht Chinesisch spricht, ist es kaum möglich, Essen zu bestellen, das vegetarisch ist. Und selbst vegetarisches Essen ist nicht immer das, was es zu sein vorgibt.

Die Mangeljahre sind vorbei

Der Effekt ist höchstwahrscheinlich der gleiche wie auch in vielen anderen Gegenden der Welt: Die letzten Generationen haben ihr gesamtes Leben in verschiedensten Stadien von Mangel und Misswirtschaft gelebt. Nun, da die Wirtschaft wächst und Grundnahrungsmittel wie Reis, Zucker und Öl für die meisten leistbar und frei verfügbar sind, wächst der Hunger auf das Besondere: Fleisch.

China ist weit davon entfernt, beim Pro-Kopf-Fleischkonsum Werte wie wie etwa die USA zu erreichen. Dennoch wächst der Konsum kontinuierlich. Denn Fleisch ist nicht nur ein Zeichen von Geld. Fleisch ist viel mehr - ein Zeichen für gutes Leben und das Vergessen der entbehrungsreichen Vergangenheit, ein Symbol für den Fortschritt und die Modernisierung, eine Ehrbezeugung für Gäste, ein Liebesbeweis für Kinder und Angehörige, ein Genuss. Und je ärmer die Gegend, desto lieber wird Fleisch gegessen. In den ländlichen Regionen Yunnans etwa werden zu Neujahr bis zu zwei Wochen lang ausschließlich Gerichte mit Fleisch angeboten; Gemüse ist den ärmeren Zeiten vorbehalten. Sobald sich eine Familie regelmäßig Fleisch leisten kann, sieht sie sich selbst nicht mehr als arm an.

Dabei sind die Chinesen im Gegensatz zu westlichen Gesellschaften nicht zimperlich, wenn es um die Verarbeitung des Fleisches geht, vor den meisten Restaurants stehen Käfige und Aquarien, in denen man sich das gewünschte Tier direkt aussuchen kann. Auf Märkten kann man häufig beim Schlachten zusehen, und jeder Teil des Tieres wird verarbeitet. Hier denkt sicher kein Kind, Steaks wachsen im Kühlregal oder Kühe sind lila. Im Gegenteil, sie laufen von klein auf den Hühnern hinterher, um sie zu fangen und "Lecker Hühnchen, lecker, lecker!" zu schreien.

Ohne Fleisch stirbt man ...

Vegetarier haben es in so einem Klima schwer, überhaupt toleriert zu werden. Das Thema scheint ziemlich brisant zu sein, zumindest fühlen sich viele Menschen davon angesprochen. Manche Chinesen fangen offen an, über Vegetarier zu schimpfen, oder zählen Sprichwörter auf, die sie von der Dummheit ihrer Lebensweise überzeugen sollen. Selbst meine Chinesisch-Lehrbücher enthalten Texte, die dem Leser versichern, dass man ohne den Konsum von Fleisch früher oder später sterben muss. Das Argument, dass ganze Generationen von Indern diesem Gesetz wiedersprechen, lässt man wie viele andere wissenschaftliche Gegenbeweise nicht gelten.

... darum gibt es vegetarisches Fleisch

So wichtig ist für Chinesen der Fleischkonsum, dass sich der Buddhismus anfangs nur schwer mit seiner vegetarischen Lebensweise durchsetzen konnte. Um dennoch erfolgreich zu sein, entstand in China eine einmalige Strategie: Buddhistische Tempel sind spezialisiert auf Gerichte, die haargenau wie Fleisch aussehen und schmecken, aber vegetarisch sind. Wenn man in ein Tempelrestaurant kommt, staunt man deswegen nicht schlecht, dass die Speisekarte fast ausschließlich deftige Gerichte wie Entenbraten, Schweineleber und selbst Spareribs anbietet. Die Speisen bestehen aber aus Sojabohnen und Weizen und - egal wie wenig die eigenen Geschmacksnerven das akzeptieren wollen - sind größtenteils sogar vegan. Der Buddhismus hat früh verstanden: Wenn er in China auf die gewöhnliche fleischlose Diät bestanden hätte, hätte er wenig Chancen gehabt zu überleben. Der Trick mit dem Geschmack scheint interessanterweise der generellen Argumentation gegen Vegetarismus keineswegs entgegenzustehen. Anscheinend geht es wirklich nur um den Geschmack und das Gefühl, Fleisch zu konsumieren - was es dann wirklich ist, bleibt unwichtig.

Nur Reiche sind freiwillig Vegetarier

Wie bei den meisten Themen ist China gespalten in den reichen Osten und den ärmeren Westen. Nur langsam setzt sich - ausgehend von den reicheren Städten der Ostküste - eine Diskussion durch, ob zu viel Fleisch nicht doch auch ungesund sein könnte. Städter, die es sich leisten können, jedes einzelne Gericht des Tages mit Hackfleisch zu garnieren, überlegen nun, dass Gemüse doch auch nicht schlecht ist. Damit ernten sie natürlich die Verachtung der Bevölkerung der ärmeren Regionen des Westens, die für diesen Luxus noch lange arbeiten müssen und nicht daran denken, darauf zu verzichten. (An Yan, 1.3.2012, daStandard.at)