Hannover - Mit dem Nervengift Botulinumtoxin werden schwere Bewegungsstörungen erfolgreich behandelt und als "Botox" spielt es bei kosmetischer Faltenglättung eine wichtige Rolle. Ist das Neurotoxin aber in verdorbenem Fleisch oder Fisch enthalten, führt es zu schweren Lebensmittelvergiftungen. Wie dieses hochmolekulare Eiweiß dabei ins Blut gelangt, konnte ein US-deutsches Forschungsteam nun klären. Die Ergebnisse des Teams rund um Andreas Rummel vom Institut für Toxikologie der Medizinischen Hochschule Hannover und Rongsheng Jin vom Sanford-Burnham Medical Institute in Kalifornien wurden im Journal "Science" veröffentlicht.

Raffinierte Methode

Im Falle einer derartigen Lebensmittelvergiftung schleust das Bakterium Clostridium botulinum sein Nervengift in das Blut des Menschen. "Das ist höchst verwunderlich und einmalig in der Natur, denn Eiweiße kommen normalerweise nicht in ihrer ursprünglichen Form im Blut an, sondern werden zuvor von Magensaft und Bauchspeicheldrüsen-Enzymen zerlegt", erläuterte Rummel. Das Bakterium hat jedoch eine raffinierte Methode entwickelt, mit der es sein Gift unbeschadet durch das für Eiweiße feindliche Milieu schleust: Es verpackt das Toxin in ein säure- und enzymstabiles Paket.

Erst im Darm öffnet sich das Paket und das freigelassene Gift kann durch die Darmwand ins Blut gelangen. Hierzu nutzt das Bakterium die unterschiedlichen pH-Werte der verschiedenen Darmabschnitte: Ein pH-Sensor am Paket misst den neutralen pH-Wert im unteren Darmabschnitt und löst zum geeigneten Zeitpunkt die Gift-Freigabe aus.

Analyse

Den WissenschaftlerInnen gelang es unter anderem mit Hilfe der Röntgenstrukturanalyse, einen Komplex bestehend aus einem inaktivierten Botulinumtoxin und einem sehr stabilen Schutzeiweiß gentechnisch herzustellen und zu kristallisieren. Er besteht aus mehr als 2.600 Aminosäuren beziehungsweise 21.000 Atomen. Das Team konnte auch die pH-Sensoren charakterisieren. Die Erkenntnisse könnten es ermöglichen, das Transportvehikel zur Behandlung mancher Krankheiten einzusetzen.

Wird das Botulinumtoxin gegen einen Arzneistoff auf Eiweißebene ausgetauscht, so kann dieser künftig oral statt intravenös verabreicht werden, erläuterte Rummel. Dank Schutzhülle und pH-Sensoren würde der Wirkstoff zur richtigen Zeit im Darm freigesetzt. Zum Beispiel könnten so Insulin, Erythropoetin (EPO) sowie Wachstums- und Gerinnungsfaktoren transportiert werden. Erste Kontakte mit einer interessierten Firma seien schon aufgenommen worden, so der Forscher abschließend. (red)