DER STANDARD-
Schwerpunktausgabe Gerechtigkeit

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Werner Herzog.

Foto: AP/dapd/Moloshok

Wien - Was fragt man einen Menschen, der zum Tode verurteilt wurde? Kommt auf das jeweilige Anliegen des Interviewers an. Dasjenige von Werner Herzog ist nicht so leicht festzumachen. Der deutsche Regisseur, der seit einiger Zeit in den USA lebt und arbeitet, ist für seine ungewöhnliche Sichtweise der Welt berüchtigt, und so beschäftigt ihn auch in der dokumentarischen TV-Serie Death Row über zum Tode verurteilte Straftäter eher eine existenzielle Dimension: die Grenzerfahrung eines Menschen, mit dem eigenen Ende konfrontiert zu sein.Beinahe jeden Gesprächspartner im Gefängnis von Huntsville, Texas, lässt er seine Träume erzählen. Von Hank Skinner will er wissen, was Zeit für ihn bedeutet. James Barnes, den Protagonisten der ersten Folge, fragt Herzog, ob er an den Vögeln Interesse hat, die er aus seiner Zelle beobachten kann. Es handelt sich wohlgemerkt um einen mehrfachen Mörder, der schon als Kind Tiere getötet hat. Er hat seine Frau erwürgt, eine andere vergewaltigt, ermordet und mitsamt ihrem Bett verbrannt. Doch Herzogs Strategie geht auf. Barnes lässt sich wie die anderen auf das Gespräch ein und präsentiert sich als offenes, wortgewandtes Gegenüber, das tief in sein Inneres blicken lässt.

Gleichzeitig wird deutlich, dass der Täter die von Herzog gewährte Öffentlichkeit auch für seine Zwecke zu nutzen versucht, indem er vor laufender Kamera weitere Morde gesteht - mit dem unausgesprochenen Ziel, ein neues Verfahren in die Wege zu leiten. Mehr noch als in den anderen vier Teilen wird hier Herzogs Prinzip deutlich: Er will einem Menschen nahe kommen, den eine fast unheimliche Aura des Bösen umgibt, ohne ihn zu dämonisieren. Die Faszination des Filmemachers für gesellschaftliche Außenseiter ist durch seine Arbeit verbürgt; grundsätzlicher wird sie in Death Row allein durch die Praxis der Todesstrafe, diesen ultimativen Akt der Ausschließung aus der menschlichen Gemeinschaft, der immer wieder in einem Satz gipfelt: Der Staat wolle den Tod des jeweiligen Individuums.

Menschen statt Monster

Herzog beginnt jede Folge mit derselben Einleitung, einem Gang durch den Todestrakt, der an dem Bett endet, wo die letalen Injektionen verabreicht werden. Aus dem Off spricht er auf Englisch mit seinem charakteristischen Akzent davon, dass er mit der Praxis der Todesstrafe " auf respektvolle Weise" nicht übereinstimmt. Gegenüber den Interviewten tritt er distanziert auf: Barnes versichert er beispielsweise indirekt, dass er ihn nicht mag. Doch als ihn eine Staatsanwältin einmal beschuldigt, er würde eine Täterin vermenschlichen, antwortet Herzog vehement: "Sie ist ein Mensch."

Darin liegt die Zumutung dieser Serie, von der es mit "Into the Abyss" auch einen Langdokumentarfilm als Ableger gibt: Menschen gedanklich zu erfassen, deren Leben auf ein Desaster hinausliefen; die nun mit einer Schuld ringen, für die es keine Erlösung gibt; die sich mal einsichtig, mal verzweifelt gebaren. Hank Skinner, der 20 Minuten vor seinem Tod Aufschub bekam, erzählt von der Panik, die ihn dabei überfiel; Joseph Garcia, ein Überfalls- und Ausbruchsexperte, der an Gangster aus den 1920ern erinnert, sagt, er ziehe den Tod lebenslanger Haft vor. "Death Row" ist immer dann am eindringlichsten, wenn nicht der Fall, sondern die psychische Disposition des Gegenübers greifbar wird. Wenn es gelingt, ohne Empathie in den Abgrund einer menschlichen Existenz zu schauen. Dann legt der Film auch die Bruchstellen des Konzepts moralischer Verurteilung dar. Es ist viel schwieriger, länger dahin zu blicken, wo es wirklich schmerzt. (Dominik Kamalzadeh/DER STANDARD; Printausgabe, 25./26.2.2012)