Prettenthaler ist "Erfinder" der Transparenzdatenbank.

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DER STANDARD-
Schwerpunktausgabe Gerechtigkeit

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Standard: Zahlt sich Kinderkriegen in Österreich aus?

Prettenthaler: Das hängt vom Einkommen ab. Es geht dabei um die Frage der horizontalen Gerechtigkeit, also: Wie geht es einem Paar mit Kindern gegenüber einem ohne Kinder. Da viele Transferzahlungen, insbesondere jene der Bundesländer, einkommensabhängig sind, gibt es eine Grenze, ab der Kinder zu haben finanziell nachteilig ist.

Standard: Wo liegt diese Schwelle?

Prettenthaler: Das ist von Bundesland zu Bundesland verschieden und hängt zudem von der Verteilung des Haushaltseinkommens und dem Alter der Kinder ab. Ein Beispiel aus Wien, für einen Haushalt mit einem Kind, bei dem Frau und Mann gleich viel verdienen: Hier kippt die Situation ab einem Bruttoeinkommen von 2800 Euro. Ab diesem Wert ist man also netto ökonomisch mit einem Kind schlechter gestellt als ohne. Beim zweiten Kind liegt diese Schwelle noch tiefer, nämlich bei 1800 Euro.

Standard: Wie groß ist der Zusammenhang zwischen finanziellen Anreizen und Geburtenrate?

Prettenthaler: Es gibt eine starke Korrelation, das Einkommen dürfte aber nur eine Ursache sein. In Wien haben die ärmsten 20 Prozent der Haushalte die meisten Kinder. Ab dem Medianeinkommen geht es steil bergab. Erst das reichste Hundertstel hat wieder deutlich mehr Nachwuchs. Im urbanen Gebieten hängt das stark mit den hohen Wohnkosten zusammen, am Land ist die Kurve deutlich flacher. Besserverdiener können sich ein drittes Kind erst leisten, wenn sie eine Villa in Döbling haben. Wer ohnehin schon prekär wohnt, braucht das dritte Kind, um ein höheres Einkommen zu erzielen.

Standard: Die ÖVP will Familien entlasten, die SPÖ bessere Kinderbetreuung: Wo stehen Sie?

Prettenthaler: Wir brauchen beides. Kurzfristig muss man steuerlich etwas machen, weil die Familien zu stark belastet werden. Die Betreuungspflichten beeinträchtigen die Erwerbsfähigkeit, weshalb Haushalte mit Kindern weniger Steuern zahlen sollten.

Standard: Aber könnte man nicht sagen, Kinder sind Privatsache, über Transferzahlungen für sozial Schwache hinaus braucht der Staat das nicht zu begünstigen?

Prettenthaler: Das verbietet der Gleichheitsgrundsatz. Wenn der Staat Transfers für Kinder zahlt, dann muss er es über alle Einkommensbereiche tun. Derzeit werden Familien ab einem gewissen Einkommen bestraft. Wenn es um Gerechtigkeit geht, dann müsste man die relativen Kompensationen ziemlich konstant halten.

Standard: Das hieße, dass Kinder von Reichen, in absoluten Beträgen ausgedrückt, mehr wert sind.

Prettenthaler: Das würde ich so nicht sagen. Auch jetzt werden Kinderkosten nach dem Alter, beim Karenzgeld auch nach der Höhe des Einkommens, unterschiedlich kompensiert. Der Einkommensverlust durch Kinder ist eben unterschiedlich hoch. Es geht nicht um die Reichen, sondern um den Mittelstand. Die Familien, die sich kein drittes Kind leisten können, weil sie gleich viel Steuern zahlen wie Kinderlose, die sind ja nicht reich.

Standard: Würde eine stärkere Kompensation die Geburtenrate beeinflussen?

Prettenthaler: Das Beispiel Frankreich zeigt, dass die höhere Fertilitätsrate mit der Förderung des dritten Kindes durch Steuerfreibeträge zusammenhängt. Die Fertilitätsrate einer Gesellschaft wird generell von der Zahl der Drei-Kind-Familien geprägt.

Standard: Viele Experten begründen die hohe Geburtenrate in Frankreich aber eher mit dem massiven Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen.

Prettenthaler: Ich habe selbst zwei Jahre in Frankreich gelebt und gerade auf einem Symposium mit französischen Wissenschaftlern diskutiert. Natürlich gibt es beide Effekte. Es ist in Österreich aber nicht so, dass die Familien umso mehr Kinderbetreuung nachfragen, als Angebot da ist. Das würde sich ändern, wenn Familien mehr Erwerbseinkommen hätten.

Standard: Wie sehen Sie das Zusammenwirken von Abgaben und Transfers in Bezug auf die Leistungsfähigkeit?

Prettenthaler: In Wien ist man zwischen 1300 Euro und 2600 Euro in der Armutsfalle, weil von einer Brutto-Lohnsteigerung netto nichts übrig bleibt. Ein anderer Vergleich zeigt, dass bis zu 65 Prozent der Haushaltstypen unter einem Bruttoeinkommen von 4000 Euro einen Grenzsteuersatz von mehr als 50 Prozent bezahlen. Im unteren Einkommensbereich ist man wesentlich großzügiger, hohe Grenzsteuersätze abzuverlangen. Diese Belastungen ergeben sich vor allem aus dem Wegfall von Transferleistungen. Ein Grenzsteuersatz von mehr als 50 Prozent ist ungerecht. Absolut unmoralisch wird es, wenn der Grenzsteuersatz über 100 Prozent liegt, das Einkommen bei einer Lohnerhöhung also sinkt. Das ist immerhin bei 13 Prozent der Fälle im unteren Einkommensbereich, die wir berechnet haben, so. (Andreas Schnauder, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25.2.2012)