Zwei Herzen im Viervierteltakt: die französischen Techno-Produzenten Gaspard Augé und Xavier de Rosnay alias Justice.

Foto: Standard/Christian Fischer

DER STANDARD-
Schwerpunktausgabe Gerechtigkeit

Wien - Am Anfang ist es stockdunkel im Saal. Aber nur fast. Da hat die Feuerpolizei schon auch noch ein Wörtchen mitzureden bei der künstlerischen Freiheit. Notbeleuchtung gilt in Zeiten der urbanen Lichtverschmutzung aber als so gut wie zappenduster. Menschen, die beim Einschlafen die Straßenbahn oder eine Südosttangente hören müssen, werden sich das jetzt nicht vorstellen können, aber: Draußen in der Natur ist dunkel meist ziemlich brutal. Dort wachsen dann aus den Albträumen die Monster. Die Monster kommen, um uns zu holen.

Verängstigt drängt sich die Herde wegen dieser uralten Ahnung nervös vor der Bühne herum. Es werde bitte Licht. Jemand soll etwas sagen. Jemand soll sagen, dass alles nur als Spaß gemeint war. Bitte, bitte, bitte.

Theatralische Anspannung, emotionale Entladung. Und siehe, am Anfang war zwar das Wort. Bald einmal danach kam aber die Glühbirne: Man made the electric light to take us out of the dark. Exakt in der Bühnenmitte leuchtet ein mannshohes Kreuz auf, ein uraltes Symbol für die Verbindung von Himmel und Erde. Es steht aber auch für religiösen Glauben. Auf den Kopf gestellt beten es etwa verwirrte langhaarige Männer mit Gitarren und Allmachtfantasien an. Und seit vier Jahren leuchtet es eben auch für das französische Technoduo Justice.

Warum umständlich etwas Neues erfinden, wenn auf dem Markt gut eingeführte Produkte mit ein bisschen frischem Make-up genauso gut funktionieren? Erkennen ist Wiedererkennen. Wiedererkennen schafft Sicherheit. Sicherheit beruhigt. Es gibt Wiederholungen. Wiederholungen sind wichtig. Nur damit das klar ist, wir reden hier schon die ganze Zeit über Popmusik.

Anders als im richtigen heutigen Leben drängt alles nach vorne zum Altar. Am Anfang war das Wort. Und das Wort lautet "Nts". "Nts, nts, nts, nts." Das ist für den Kopf. Etwas fehlt noch: "Mpf, mpf, mpf, mpf." Wir brauchen auch Bass. Der Saalboden beginnt zu vibrieren. Das ist nicht die U-Bahn, die da unter dem Saal des Wiener Gasometers durchbraust. Das ist viel mächtiger, archaischer, unwiderstehlicher. Das ist der Urrhythmus. "Nts, nts, nts, nts. Mpf, mpf, mpf, mpf." Und jetzt die Fliegeralarmsirene.

Four to the floor. Das ist die Grundlage einer Marschmusik, die uns zur Freiheit, ans Licht führen soll. Heraus aus den Höhlen der Steinzeit geht es über diverse Soundtracks für Conan-, Sandalen-, Wikinger-, Mel-Gibson- und Planet-der-Affen-Filme zur Berliner Loveparade. Hyper Hyper. Scooter. Schlümpfetechno. Kampfmusik ist immer auch Musik, die das Denken verhindern soll. Sie muss überwältigen. Und sei es mit Gewalt.

Käsige Synthesizermelodien aus dem Grenzland von Pink Floyd, an Wallungen leidendem Progressive Rock und französischen Zeichentrickfilmen der 1970er-Jahre wie Michel Vaillant. Sie bringen ein wenig akustische Besänftigung in den gnadenlosen Haudrauf der Autoscooter-Disco. Auf Platte pumpen die mit diversen modischen Unumgänglichkeiten wie eierndem Autotune-Gesang behübschten Tracks schon im sportlichen Tempo hin zur Rüscherlparty in der Almdisco. Man wird also nicht so blöd sein, live bei 3000 Umdrehungen pro Minute plötzlich auf den ersten Gang zurückzuschalten.

Vorwärts, schneller, Party, Party. Wir haben nicht ewig Zeit. Die Meute tobt. Die Leute kreischen. Schade eigentlich, dass beim jungen Menschen die Polonäse aus Blankenese aus der Mode gekommen ist. Egal. Die Hände zum Himmel. Himmel, ist das laut!

Ein wichtiges Argument in der Geschichte der populären Musik war immer die Lautstärke. Jetzt gerade tobt eine Herde brünftiger Mammuts durch den Gasometer. Justice lassen es live ziemlich derb krachen. Zum Nachdenken oder Zweifeln oder Beantworten eines Anrufs müsste man auf jeden Fall kurz aus dem Saal gehen.

Die Götter sind verrückt

Auch oben in der Kanzel wird heftig gerockt. Der aus verstorbenen, aber nicht vergessenen Mischpulten gebaute Predigtstuhl blinkt im Takt. Nts, nts, nts, nts. Zwei seitlich gebaute Gitarren-Zierverstärkertürme erstrahlen sonnenhell. Im Bühnenhintergrund weisen hunderte wattfressende Glühlampen darauf hin, dass es heute Abend nicht um Fragen des ökologischen Fingerabdrucks geht. Hier wird gefeiert. Die Vernunft macht Pause. Es gibt eine Zeit, die Welt nicht mit noch mehr CO2 zu belasten. Und es gibt eine Zeit zu tanzen: "Und dann die Hände zum Himmel, kommt, lasst uns fröhlich sein. Wir klatschen zusammen und keiner ist allein." Man will es sich ja nicht unnötig mit höheren Wesen verscherzen und so, aber: Die Götter müssen verrückt sein. (Christian Schachinger, DER STANDARD - Printausgabe, 25./26. Februar 2012)