Straßburg/Rom - Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) könnte den Umgang von EU-Ländern mit Flüchtlingen aus Afrika nachhaltig verändern: Der EGMR hat Italien am Mittwoch gleich wegen mehrerer Verstöße gegen die Menschenrechtskonvention verurteilt.

Das Land hat demnach Flüchtlinge unmenschlicher und erniedrigender Behandlung ausgesetzt, ihnen ein faires Asylverfahren vorenthalten und sie abgeschoben, ohne auf ihre individuelle Situation einzugehen. Geklagt hatten 24 Flüchtlinge aus Somalia und Eritrea, die von Libyen aus über das Mittelmeer nach Italien gelangen wollten. Sie waren von der italienischen Küstenwache in internationalen Gewässern aufgegriffen und umgehend nach Libyen zurück geführt worden. Laut Italiens Innenminister Roberto Maroni wurden 2009 insgesamt neun solcher Operationen durchgeführt und hunderte Migranten nach Libyen gebracht.

UNHCR: "Richtungsweisendes Urteil"

Italien muss den Klägern nun je 15.000 Euro Entschädigung zahlen. Der EGMR begründete sein Urteil mit mehreren Argumenten: In Libyen habe für die Abgeschobenen die Gefahr bestanden, weiter in ihre Herkunftsländer abgeschoben zu werden, egal, ob ihr Leben dort bedroht wäre oder nicht; in Libyen selbst waren die Betroffenen besonders schlechten Lebensumständen und Rassismus ausgesetzt; das Land verfügte zu dem Zeitpunkt über kein funktionierendes Asylsystem, das ein faires Verfahren sicherstellen würde; und den italienischen Behörden war all dies bewusst, als sie die Entscheidung trafen, die Flüchtlinge rückzuführen.

Ein "richtungsweisendes Urteil mit Vorbildfunktion" nennt Ruth Schöffel vom Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR die Entscheidung. Sie geht davon aus, dass Staaten ähnliche Vorgehensweisen künftig unterlassen werden - auch wenn nicht Libyen, sondern ein vergleichbarer Staat das Zielland ist. Das Urteil des EGMR vergangenes Jahr gegen Griechenland etwa hatte zu einem europaweiten Abschiebestopp in das Land geführt. (tob, DER STANDARD; Printausgabe, 24.2.2012)