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Die Terroranschläge in New York und Washington am 11. September 2001 sind gefundenes Fressen für Verschwörungstheoretiker.

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Die Geburtsurkunde Obamas. Wer nicht daran glaubt, dass Obama in den USA geboren wurde, wird auch die Echtheit dieses Dokuments in Zweifel ziehen.

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Michael Wood erforscht an der Kent University, was an Verschwörungstheorien so anziehend wirkt.

Foto: Michael Wood

Barack Obama sei nicht in den USA geboren und deswegen nicht berechtigt, Präsident der USA zu sein. So lautet der Vorwurf einiger Obama-Kritiker. Und obwohl der US-Präsident diese Angriffe mit der Vorlage seiner Geburtsurkunde aus der Welt zu schaffen versuchte, halten einige noch immer daran fest. Selbst nach der Veröffentlichung im April des Vorjahres waren sich laut einer Gallup-Umfrage nur 47 Prozent der Befragten sicher, dass Obama in den USA geboren wurde.

Warum sind Verschwörungstheorien so attraktiv und selbst mit Fakten nicht zu stoppen? derStandard.at fragte Michael Wood, Psychologe an der Kent University, dessen Forschungsschwerpunkt Verschwörungstheorien sind.

derStandard.at: Was macht eine bestimmte Theorie zur Verschwörungstheorie?

Wood: Der Begriff Verschwörungstheorie ist problematisch, weil er impliziert, dass die Theorie nicht gültig ist. Für mich sind Verschwörungstheorien Theorien, die ein geheimes Komplott mächtiger Organisationen als Erklärung für bestimmte Vorkommnisse heranziehen. Diese Organisationen oder Allianzen haben in Verschwörungstheorien ein obskures Ziel, das durch Irreführung der Öffentlichkeit erreicht werden soll. Zentral ist die Idee, dass immer eine Täuschung involviert ist: dass Leute belogen werden, um die Wahrheit zu verschleiern. Aber es spricht nichts dagegen, dass eine Verschwörungstheorie auch wahr sein kann.

derStandard.at: Haben Sie ein Beispiel für eine Verschwörungstheorie, die sich als richtig herausgestellt hat?

Wood: Ja, da gibt es einige Beispiele. Eines der bekannteren ist die Watergate-Affäre (Einbruch in das Wahlkampfbüro der US-Demokraten in Washington und die Verstrickung von US-Präsident Richard Nixon in den Vorfall, Anm.). Berichte über Watergate wurden zu Beginn auch als Verschwörungstheorie abgetan. Weniger geläufig ist die Operation Gladio (NATO-Geheimorganisation, die nach einer sowjetischen Invasion Westeuropas Guerilla-Operationen und Sabotageakte durchführen sollte, Anm.). Auch hier wurden Berichte über Gladio ins Reich der Verschwörungstheorien verwiesen. So lange, bis deren Existenz bewiesen war.

derStandard.at: Gibt es auch den umgekehrten Fall, dass Verschwörungstheorien eindeutig widerlegt werden?

Wood: Es ist fast unmöglich, eine Verschwörungstheorie zu widerlegen. Ein gutes Beispiel dafür ist vielleicht die Behauptung, dass Klimaerwärmung eine Erfindung sei. Selbst wenn eine neue Studie die Tatsache der Klimaerwärmung beweist, werden Anhänger der Verschwörungstheorie diese Studie in Zweifel ziehen und sie als Teil der Verschwörung ansehen. Jeder Beweis gegen eine bestimmte Theorie kann also abgelehnt werden, wenn eine Person an die Verschwörungstheorien glaubt. Auf diese Weise können Verschwörungstheorie gegen die Außenwelt abgedichtet werden. Alles, was gegen den Wahrheitsgehalt der Theorie spricht, wird dann abgelehnt.

derStandard.at: In diese Kategorie fällt dann auch der Vorwurf, US-Präsident Obama sei nicht in den USA geboren. Das hat er zwar mit dem Vorlegen seiner Geburtsurkunde eindeutig widerlegt, aber die Vorwürfe beendet das nicht.

Wood: Das ist ein hervorragendes Beispiel. Schon während des Wahlkampfes legte er Beweise gegen diese Behauptung vor. Diese Dokumente wurden von Befürwortern dieser Theorie als Fälschungen abgetan, sie wollten weiterhin das Originaldokument sehen. Nachdem Obama auch dieser Aufforderung nachgekommen ist, wird jetzt die Echtheit seiner Geburtsurkunde angezweifelt.

derStandard.at: Es gibt also keine Möglichkeit, Verschwörungstheorien zu stoppen?

Wood: Es ist zumindest schwierig. Allerdings sind Menschen grundsätzlich durchaus für Beweise und Fakten empfänglich.

derStandard.at: Was macht Verschwörungstheorien so attraktiv?

Wood: Jemand ist eher versucht, an Verschwörungstheorien festzuhalten, wenn er das Gefühlt hat, keine Kontrolle mehr über sein Leben zu haben. Keine Kontrolle zu haben bedeutet in diesem Zusammenhang, dass jemand das Gefühl hat, Dinge würden willkürlich geschehen, und er sich als Opfer dieser Vorgänge fühlt. Als Ausweg macht man sich auf die Suche nach einer Struktur, einer Erklärung, warum Dinge passieren. Eine Verschwörungstheorie kann auf diesem Weg beruhigend wirken.

derStandard.at: Warum wendet man sich auf der Suche nach Strukturen und Erklärungen nicht an die Wissenschaft, sondern versucht Fragen mit Verschwörungstheorien zu beantworten?

Wood: Eine Erklärung dafür könnte die Zugänglichkeit dieser Theorien zu sein. Im Gegensatz zu wissenschaftlichen Erklärungsmodellen und Weltsichten sind Verschwörungstheorien meist simpel und einfach zu verstehen.

derStandard.at: Hat die Anzahl an Verschwörungstheorien in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen? Und wenn ja, warum?

Wood: Ja, die Zahl ist definitiv gestiegen. Besonders in den vergangenen 20 Jahren hat es einen großen Anstieg von Verschwörungstheorien gegeben. Der Anstieg hat wahrscheinlich mit der zunehmenden Bedeutung des Internets zu tun. Das Internet ist ein großartiger Ort für die Verbreitung solcher Theorien, weil hier ohne den Umweg über Verleger und Medien Ideen ausgetauscht werden können. (mka, derStandard.at, 22.2.2012)