Wiener Heimkinder waren bis in die 1990er Jahre massiver Gewalt ausgesetzt. Während in den vergangenen Monaten Fälle aus den 1960ern und 1970ern bekannt wurden, habe sich an der Situation und den Formen der Gewaltausübungen auch in den Jahrzehnten danach nichts geändert, berichtet das Ö1-Morgenjournal.

Laut dem Kinderpsychiater Ernst Berger waren Heimkinder zwischen 1975 und 1990 "in ganz ähnlichem Prozentsatz von körperlicher, psychischer und sexueller Gewalt" betroffen wie in den Jahren zuvor. Eine Heimreform Anfang der 1970er Jahre habe daran nichts geändert, so Berger.

Systematischer Sadismus und Entwürdigung

Der Kinderpsychiater hat 100 Gespräche mit Betroffenen ausgewertet, 25 davon lebten zwischen 1975 und 1990 in Heimen. 63 der ehemaligen Heimkinder berichteten von massiver körperlicher und psychischer Gewalt, 40 wurden Opfer von sexueller Gewalt. Zwar haben sich von den rund 50.000 ehemaligen Heimkindern bisher nur 900 gemeldet, Rückschlüsse auf das Gesamtsystem könnten dennoch gezogen werden, sagt Berger. 

Besonders stark seien Traumatisierungen durch psychische Gewalt. Berger berichtet von "Formen eines fast systematischen Sadismus, wo Kinder entwürdigt und Situationen ausgesetzt worden sind, die man als öffentliche Beschämung bezeichnen muss, dass die Betroffenen noch heute, 40 Jahre danach, bei der Schilderung solcher Situationen im Gespräch in Tränen ausbrechen". 

Massive soziale Auswirkungen auf die Betroffenen

"Es zeigt sich, dass nur etwa ein Drittel der Gesprächspartner von relativ stabilen späteren Partnerschaften berichtet haben und dass mehr als ein Viertel kriminell wurden, wobei bei etwa fünf Prozent die kriminelle Laufbahn lebensbestimmend wurde", so Berger. 46 Prozent der Betroffenen gaben an, noch heute an psychischen Folgen wie Angst- und Panikzuständen oder Depressionen zu leiden. (red, derStandard.at, 22.2.2012)