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Wer die Klausur beim zweiten Antritt nicht besteht, ist gesperrt - für immer.

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"STOP STEOP" - eine autonome Gruppe Studierender plant Protestmaßnahmen gegen die Studieneingangs- und Orientierungsphase.

Foto: derStandard.at/Sebastian Fellner

Plenum im Neuen Institutsgebäude: Bis in den späten Abend wird diskutiert.

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"Esel" wäre die richtige Antwort gewesen. "Was ist ein symbolhaftes Tier für Unterricht?", las Stefan Kastel auf dem Bogen für seine Multiple-Choice-Prüfung aus Pädagogik. Der 22-Jährige studierte Deutsch und Geschichte auf Lehramt - allerdings nur für ein Semester. Dann wurde er zwangsexmatrikuliert und lebenslang für das Pädagogik-Studium gesperrt, weil er die erste Prüfung auch beim zweiten Antritt nicht bestanden hatte. Stefan hätte auf "Eule" getippt.

Das System dahinter heißt STEOP - "Studieneingangs- und Orientierungsphase". Sie gilt seit dem Wintersemester 2011 für alle, die ein Studium beginnen. Vom Wissenschaftsministerium vorgeschrieben, ist die Eingangsphase für alle Unis Pflicht. Ausnahmen gelten an der Uni Wien nur für Psychologie, Publizistik und das Lehramt Bewegung und Sport - also jene Fächer, die ohnehin ein beschränktes Platzkontingent und Aufnahmeprüfungen haben.

Sperre nach zwei negativen Prüfungen

Die Eckpunkte der STEOP: Im ersten Semester finden Einführungsvorlesungen zum Studium statt. Die Prüfungen dazu sind Voraussetzung für alle weiteren Lehrveranstaltungen des Studiums. Wer die Klausur beim zweiten Antritt nicht besteht, ist gesperrt - für immer. Nicht nur für das Studium, für das die Prüfung absolviert wurde, sondern für alle, die diese Lehrveranstaltung im Rahmen der STEOP verlangen. Kastel werden also nicht nur die Deutsch- und Geschichte-Lehramtsstudien, sondern alle Lehramtsstudien verwehrt. Üblicherweise sind bei Uni-Prüfungen vier bis fünf Prüfungsantritte möglich. Der Gesetzgeber erlaubt den Unis bei der STEOP, autonom einen dritten Antritt anzubieten. Alle Hochschulen außer den Unis Wien und Linz machen davon auch Gebrauch.

Unter den Studierenden regt sich Widerstand. An einem Abend im Februar trifft sich die Gruppe "STOP STEOP" am Neuen Institutsgebäude der Uni Wien. Ihre Kritik: Die STEOP diene nur der Verringerung der Studierendenzahl. Die Fragen bei den alles entscheidenden Prüfungen seien willkürlich gestellt. Die Gruppe fordert eine Komplettreform der Eingangsphase.

"Die STEOP soll ihrem Namen gerecht werden"

Es ist vorlesungsfreie Zeit, die Uni wirkt verlassen - einige tummeln sich rund um die Computerräume, schreiben Seminararbeiten oder nutzen das kostenlose Internet. Im Souterrain des Gebäudes, in dem hauptsächlich Sozialwissenschaften, die Psychologie und Pädagogik beheimatet sind, ist in einem Hörsaal für 18.00 Uhr das Plenum von "STOP STEOP" angesetzt.

Kastel hat die Gruppe mitbegründet. "Die STEOP soll ihrem Namen gerecht werden", sagt er. Eine echte Orientierungsphase, außerhalb der für Studiengebühren und Beihilfen relevanten Studienzeit, wäre sinnvoll. "Einfach ein Monat, in dem ein Überblick über das Studium vermittelt wird. Ohne Prüfungen zum Schluss", wünscht sich Jacqueline Baumgartner. Sie ist 21, studiert Lehramt Deutsch und Psychologie/Philosophie. Baumgartner hat alle Prüfungen der STEOP bestanden.

Keine Hörsaal-Besetzungen

Um 18.15 Uhr beginnt das Plenum, etwa zwölf Leute sind gekommen und haben sich im Hörsaal verteilt, die meisten von ihnen studieren Lehramt. Die Facebook-Gruppe von "STOP STEOP" hat fast 1.700 Fans. Die Tagesordnung ist vom Zeitdruck geprägt: Bald beginnt das Sommersemester und die OrganisatorInnen fürchten, dass hunderte Erstsemestrige genauso ins kalte Wasser gestoßen werden wie sie vor einem halben Jahr.

"Viele meiner FreundInnen fangen jetzt an zu studieren. Das sind gescheite Leute, die dann an so etwas scheitern", sagt Baumgartner zu den Schikanen. Beim Plenum werden Ideen gesammelt, wie man Studierende mobilisieren könnte: ein Flashmob? Es wird gebrainstormt. Einfälle werden vorgetragen, euphorisch begrüßt und dann wieder verworfen. Ihren Protest möchten die Studierenden positiv transportieren, sie wollen nichts besetzen. "Wir möchten kein Audimax 2.0 sein", sagt Kastel.

Unterstützung von der ÖH

Lisa-Maria Eder hat einen wahren Hürdenlauf durch die Uni-Bürokratie hinter sich. Die heute 20-Jährige hatte die Aufnahmeprüfung der Medizinischen Uni Wien nicht bestanden, wurde aber in Innsbruck angenommen. Wegen zweier negativ benoteter Prüfungen hätte sie aber ein Jahr lang bis zum nächsten Termin warten müssen. Jetzt sattelt sie im Sommersemester auf Lehramt Deutsch und Englisch um. Nun steht ihr eine STEOP bevor. Ihre Cousine sei an einer solchen schon gescheitert, umso mehr begegnet Eder der Eingangsphase mit Misstrauen: "Das ist keine Einführung ins Studium, sondern dient rein dem Rausprüfen."

Unterstützung bekommt "STOP STEOP" von der ÖH-Bundesvertretung. Als Vertreterin der HochschülerInnenschaft ist Inge Chen beim Plenum. "Die Forderungen decken sich ja mit denen der ÖH", begründet sie den Beistand, der sich hauptsächlich im Wissensaustausch ausdrückt. Die Erstsemestrigen seien durch die STEOP einem enormen Druck ausgesetzt, sagt Chen. "Die kommen neu in ein System hinein, ohne sozialen Rückhalt, weil es ja so etwas wie eine Klassengemeinschaft auf der Uni nicht gibt."

Prüfungsfragen nach Institutsabteilungen

Miriam Wintereder (20), ebenfalls beim Plenum, hängt gerade in der STEOP. Die Oberösterreicherin hat im Oktober begonnen, Biologie und Englisch auf Lehramt zu studieren. Die Biologie-Prüfung hat sie nicht geschafft. Jetzt wartet sie auf den nächsten Termin - der ist im Mai. Bis dahin besucht sie Vorlesungen in der Hoffnung, dass sie zu den Prüfungen im Juni nicht schon lebenslang gesperrt ist.

Ob Wintereder damit rechnet, dass sie Biologie beim zweiten Antritt schafft? "Ich muss ja wohl", lacht sie unsicher. Bei der ersten Prüfung sei sie sich verarscht vorgekommen, weil sie sich mit Anthropologie-Wissen eingedeckt habe und dann nach den einzelnen Abteilungen des Instituts gefragt wurde. Ganz klar sei ihr der Grund für solche Fragen nicht, aber: "Man bekommt schon das Gefühl, dass mit solchen Fragen Leute rausgeprüft werden sollen."

Autonome Informationsveranstaltung

Das Plenum dauert bis 22 Uhr - die Flashmob-Idee wird schlussendlich doch noch verworfen. Das Risiko, zu dritt am Stephansplatz zu stehen und in der Masse unterzugehen, war wohl doch zu groß. Stattdessen wird ein Protestvideo produziert, das die Forderungen der Gruppe zusammenfasst. Für die neuen Erstsemestrigen soll es Informationsveranstaltungen geben, bei denen STEOP-Geprüfte aus mehreren Studienrichtungen Einblick in das System geben.

Stefan Kastel bringt das nichts mehr. Er ist gesperrt, der Traumberuf Lehrer muss dem Plan B weichen. Er ist für Sprachwissenschaften vorangemeldet. Wenn er die dazugehörige STEOP schafft, darf er auch weiterstudieren. (Sebastian Fellner, derStandard.at, 21.2.2012)