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Gaza-Stadt: Weitere Protestierende sind in den Hungerstreik getreten.

Foto: EPA/MOHAMMED SABER

Der Palästinenser Chader Adnan wird die nächste Woche wahrscheinlich nicht überleben. "Sein Tod steht unmittelbar bevor", erklärte die Menschenrechtsorganisation Physicians for Human Rights.

Adnan, 33 Jahre alt und ein Sprecher der militanten Gruppierung Islamischer Jihad, ist seit dem 18. Dezember im Hungerstreik. Damit protestiert er gegen seine eigene Inhaftierung, für die das israelische Militär bislang keine konkreten Gründe bekannt gegeben hat. Tausende Palästinenser sind auf ähnliche Weise in den letzten Jahren inhaftiert worden, ohne über konkrete Vorwürfe informiert zu werden, ohne strafrechtlichen Prozess, und ohne die Chance auf Verteidigung.

Wie bei der Anti-Terrorismus Bekämpfung, die seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York die Rechte von Gefangenen vielerorts ausgehöhlt hat, ist auch hier eine vermutete Bedrohung der Sicherheit genug für monatelange Haft und Verhör. Und ähnlich wie bei den berüchtigten österreichischen Paragraphen zur "Kriminellen Vereinigung" (278), "Kriminellen Organisation" (278a) oder "Terroristischen Vereinigung" (278b) dürfte Adnans Mitgliedschaft im Islamischen Jihad aus israelischer Sicht bereits sicherheitsgefährdend genug sein, auch wenn er selbst vermutlich keine Straftat begangen hat.

Die rechtlichen Grundlagen für die "Administrative Haft" von Palästinensern liegen im israelischen Militärrecht, das im Westjordanland und im Gazastreifen angewendet wird. Der Erlass Nr. 1561 des israelischen Militärs "bezüglich Administrativer Haft" legt folgendes fest:

Militärkommandanten können eine Person im Westjordanland für maximal sechs Monate festnehmen lassen, "wenn eine glaubwürdige Basis für Bedenken der regionalen und öffentlichen Sicherheit bestehen". Ist das nach Einschätzung der Armee auch nach diesen sechs Monaten der Fall, kann die Haft theoretisch beliebig oft um weitere sechs Monate verlängert werden.

Problematische Praxis

Die Entscheidung darüber, ob diese Gefährdung der Sicherheit durch eine Person auch wirklich gegeben ist, obliegt allein der Militärverwaltung. Der Interpretationsspielraum ist dabei freilich groß. Auch wenn kaum jemand bezweifelt, dass Khader Adnan als Mitglied des Islamischen Jihad im weitesten Sinne eine Bedrohung für Israel darstellt, ist diese Haftpraxis laut der israelischen Menschenrechtsorganisation B'Tselem aus mehreren Gründen problematisch:

1) Das internationale Recht sieht Administrative Haft nur dann gerechtfertigt, wenn die Gefahr einer Person auf keine andere Weise abgewendet werden kann, es sich also um einen außergewöhnlichen Notfall handelt. Laut B'Tselem würde Israel durch die sehr häufige Anwendung dieser Haft internationales Recht brechen.

2) Administrative Haft wird vom israelischen Militär "oft als Alternative zum Strafverfahren" verwendet, "wenn sie nicht genügend Beweise für eine Verurteilung haben, oder wenn sie diese Beweise nicht öffentlich machen wollen", schreibt B'Tselem.

3) Administrative Häftlinge erfahren meistens nichts über konkrete Anklagepunkte und können sich demnach auch nicht verteidigen. Meistens liegen der Verhaftung Informationen des israelischen Geheimdienstes zugrunde, die nie öffentlich gemacht werden.

4) Die Haft kann beliebig oft verlängert werden, ohne dass dabei irgendein strafrechtlicher Grund bekannt gemacht wird. Im Juli 2009 sind beispielsweise 79 Prozent aller Administrativen Häftlinge länger als sechs Monate eingesessen.

5) Hin und wieder habe Israel die Administrative Haft gegen Organisatoren von Protesten und politische Aktivisten verwendet, schreibt B'Tselem. Diese haben jedoch dem Gesetz nach nichts verbrochen. Demnach würde Israel die intransparente Haft als Präventivmaßnahme missbrauchen.

6) Viele Palästinenser werden nicht im Westjordanland, sondern in Gefängnissen in Israel festgehalten. Das internationale Recht verbietet jedoch den Transfer von Personen aus einem besetzten Gebiet durch die Besatzungsmacht.

Durch den mehr als 63-tägigen Hungerstreik hat Khader Adnan nicht nur die Medienaufmerksamkeit auf diese problematische Praxis gerichtet, sondern eine Welle an Solidarität losgerissen. Erst am Freitag haben tausende Palästinenser im Gazastreifen und im Westjordanland zu seiner Unterstützung demonstriert. "Wir sind alle Khader Adnan", war dabei der zentrale Slogan.

"Bobbi Sands der West Bank"

Angeblich sind ihm mittlerweile auch schon dutzende Häftlinge in den Hungerstreik gefolgt. Der Führer des Islamischen Jihad, Nafez Assam, warnte am Freitag vor eskalierender Gewalt, sollte Adnan sterben. "Wir werden den Jihad und den Widerstand verfolgen", meinte er.

Khader Adnan ist für Palästinenser aller politischen Richtungen zu einer Art Held geworden. Donald Macintyre von der britischen Zeitung Independent nannte ihn den „Bobbi Sands der West Bank". Bobbi Sands war ein führendes Mitglied der paramilitärischen Irischen Republikanischen Armee (IRA), der nach 66 Tagen Hungerstreik im Mai 1981 starb, und damit eine Welle an Protesten und gewaltsamen Auseinandersetzungen auslöste. Zu seinem Begräbnis in Belfast erschienen rund 100.000 Menschen.

Ob auch Adnans Tod zu zornigen Protesten führt, wird man diese Woche sehen, sollte davor nicht noch ein Wunder geschehen. Wäre er kein Mitglied des militanten Islamischen Jihad, würde die Solidarität wohl vielen leichter fallen. Immerhin ruft der Jihad zur Zerstörung Israels auf und ist für viele Angriffe auf israelische Zivilisten verantwortlich. Doch solange ihm keine Mitwirkung in diesen Verbrechen nachgewiesen wird, sollte er die gleichen Rechte haben, wie alle anderen Menschen, erklärte Human Rights Watch in einer Aussendung.