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Denkt an die US-amerikanische Misere: Bruce Springsteen.

Foto: REUTERS/Mario Anzuoni

Der 62-Jährige hat nicht nur die Stimme bewahrt, sondern eine Sprache gefunden

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Ist das der Mann, der die Wut im Bauch hat, manchmal auch den Blues? Mit entspanntem Lächeln tritt der schwarz gekleidete "Boss" auf die Bühne des Pariser Theaters Marigny und schwingt sich locker auf den Barhocker. Ohne Allüren, nur mit seiner raumfüllenden Reibeisenstimme versehen, wirkt seine Einfachheit wohltuend nach dem komplizierten Geheimprogramm, das die Sony-Leute für das "Weltevent" aufgezogen haben.

Die aus ganz Europa angereisten Journalisten haben sich eben das neue, Anfang März erscheinende Album im Dunkeln angehört (Handys waren verboten, nur Notizblocks erlaubt). Ganz schön düster, kommentiert ein Engländer. "Bruce", wie ihn die Reporter ansprechen, entgegnet gut gelaunt, es sei dem Rock'n'Roll eben noch immer gut bekommen, wenn der Musiker "pissed off" sei.

Aber im Ernst, Springsteen ist "pretty angry", ganz schön verbiestert. Sein 17. Studioalbum heißt Wrecking Ball, zu Deutsch Abrissbirne, und das sei eine Metapher für das heutige USA, "wo die Leute aus ihren Häusern gejagt werden, wenn sie kein Geld mehr haben". Schon auf seinen früheren Alben The River, Nebraska oder Born In The USA habe er stets "die Entfernung zwischen amerikanischem Traum und amerikanischer Realität gemessen", meint Springsteen. Und jetzt werde der Abstand größer und größer. "Halt' dich an deine Wut", singt Springsteen im Titelsong, den er früher schon live gespielt hatte.

Das Album beginnt mit den schroffen Gitarrenriffs von We Take Care Of Our Own, der ersten Singleauskopplung, die schon als Occupy-Hymne herumgereicht wird. Es folgt das böse Gaunerstück Easy Money, mit fidelen Folk-Einlagen und entsprechender Laune: "Ich hab eine Smith & Wesson 38 und ein Höllenfeuer." Dann eine bittere Anklage über die Spekulanten auf dem "Bankerhügel". Im vierten Song Jack Of All Trades wird Springsteen noch deutlicher: "Der Banker wird fett, der Arbeiter wird dünn / Das war schon immer so, und wird es auch wieder so sein."

Death To My Hometown  beschließt die erste Hälfte des Albums mit einer Anklage gegen die Aasgeier-Armee, die ohne Bomben und Kanonen "unsere Familien und Fabriken zerstört und uns die Häuser nimmt".

Auf seinem Barhocker bestätigt Springsteen, die erste Hälfte des Albums sei während der Wirtschaftskrise 2009 und 2010 entstanden. Seine Songs enthielten aber auch hoffnungsvolle Elemente, betont er: We Take Care Of Our Own lasse sich auch lesen als "Wir nehmen die Dinge in die Hand". Die Occupy-Bewegung habe immerhin ermöglicht, dass in den USA wieder über Gleichheit und Gerechtigkeit debattiert werde. "Das war in den letzten 20 Jahren nicht mehr der Fall", fügt der Mann mit den vier feinen Ohrringen an. Wegen George Bush sei er vor vier Jahren auch für Barack Obama aufgetreten, meint Springsteen; in der neusten Kampagne werde er das aber nicht mehr tun: "Ich bin kein professioneller Wahlkämpfer."

Leid eines Sängers

Und dann gibt es auch noch die zweite, persönlichere Hälfte des Albums. This Depression kommt von tief unten, und die Gastgitarre von Tom Morello ist so hirnzersetzend wie die Depression, die Springsteen um Hilfe schreien lässt. Der Rest des Albums ist E-Street-Band pur.

Obwohl langsam gequält auf seinem Sessel, reagiert Springsteen eher amüsiert über die Frage, ob seine neue Rolle als Protestsänger nicht eine Last sei. "Ich leide schrecklich darunter, wenn ich nachts in meinem großen Haus einschlafe, das bringt mich noch ganz um", scherzt er, bevor Sony die Pressekonferenz beendet. Und Springsteen sich plaudernd unter die Leute mischt. (Stefan Brändle aus Paris / DER STANDARD, Printausgabe, 18./19.2.2012)